
Von Raben, Einhörnern und weißen Zähnen
Da bin ich erst vier Monate in Braunschweig und schon kommt Corvus Corax hierher?! Das kann ich mir nicht entgehen lassen, schließlich warte ich schon jahrelang auf so eine Gelegenheit. Also nix wie Freunde zusammentrommeln und hin! Am 30.12.2013 empfängt uns in der Meier Music Hall erst einmal eine Schlange vor der Garderobe, die bis auf die Tanzfläche reicht. Gut, dass wir eine halbe Stunde vor Beginn des Konzerts angekommen sind – so können wir uns noch pünktlich einen Platz reservieren…
Text: Manuela Kuhar | Foto:(c) Holger Bücker (BuPix) – www.music2see.com
Und schon sind sie da, die „Kolkraben“, mit Schnabelmasken, schwarzen Federn, Kilts und Metallrüstungsteilen – was für ein Mix! Mit der Zeit fallen so einige Hüllen und viele bunte Tattoos auf nackter Haut kommen zum Vorschein. Der größtenteils ästhetische Anblick verleitet einige Umstehende zu Spekulationen, was die Truppe nach der Show wohl tun mag, um sich fit zu halten…Und auch sonst gibt es eine Menge zu sehen. Da wären schon allein die Instrumente, die meisten von den Künstlern selbst gebaut: Riesige Trommeln und Pauken, Dudelsäcke, eine Drehleier, Saiteninstrumente, so etwas wie Alphörner, und diverse tröten-artige Geräte, denen die Künstler gänzlich unerwartete Töne entlocken. Laut der Band-Webseite heißen die Dinger z.B. Trumscheit, Schalmei und Busine. Faszinierend! Ich könnte mich hier noch länger über die Musikinstrumente auslassen, doch zurück zur Show:
Zuerst höre ich nur die Trommeln, den Rest nicht wirklich. Zwischen den Liedern erzählt der Sänger Castus über Ragnarök (also die nordische Sage vom Kampf zwischen Göttern und Riesen ), Ritter, Einhörner und von einer schwangeren Frau, die weiße Zähne hat. Ich verstehe noch nicht ganz und frage mich: Hat er vielleicht seinen Text vergessen oder sind die Tontechniker einem plötzlichen Grippeanfall erlegen? Doch gerade als ich beginne, mir Sorgen zu machen, wird der Ton auch schon besser. Et voilà: Mit Gesang, Dudelsack- und Drehorgelklängen kommt die Stimmung jetzt auch in den hinteren Reihen an.
Da machen es diverse Leute im Publikum auch schon den Künstlern nach und ziehen ein paar Lagen Klamotten aus. Bei der Hitze und dem Sauerstoffmangel sind wir sehr froh, dass wir uns einen Platz in der Nähe der Bar gesichert haben. So rappelvoll wie die Bude ist, kann man ja wenigstens nicht umfallen! Nun ja…wenn es einen Grund zum Umkippen gibt, dann ist dies bestimmt nicht die zum Schneiden dicke Luft. Auf der Bühne spielt nämlich jemand Dudelsack, der geradewegs aus einem Herr der Ringe-Film entsprungen sein könnte. Er sieht aus wie Aragorns Elfen-Bruder, und…äh… was wollte ich noch schreiben?! … Ach ja: Demonstrativ wende ich den Blick vom Elfengesicht ab, schließlich will ich ja noch etwas vom Konzert mitbekommen.
Ich hatte gehofft, das die Band ihre berühmte Feuershow zeigen würde, doch vergeblich – bei der niedrigen Decke wäre sowas im Meier wohl kaum möglich. Doch die Truppe hat natürlich andere Ideen, die dafür entschädigen. Da löffelt einer der Künstler – Wim? – Honigmet aus einem Faß in einen schätzungsweise vier Meter langen Trinkschlauch. Leute im Publikum schnappen sich das andere Ende gierig: Her mit dem süßen Gebräu! Das brauchen die Armen auch, die da vorne eingequetscht sind und nicht mal schnell zur Bar laufen können, um sich was zu trinken zu holen. Zuckersüß sei das Zeug gewesen, erzählt mir später ein Gast mit einem etwa 20 Zentimeter langen, gezwirbelten Schnurrbart. Ich wende die Aufmerksamkeit wieder zur Show. Dabei streift mein Blick aus Versehen das Aragorn-Elfengesicht, so dass ich das nächste Lied nicht so ganz mitbekomme…
…Doch was ist da los? Da prügelt sich Castus auf der Bühne mit einer Art Monster: Es soll Grendel darstellen, das schreckliche Moormonster aus dem Beowulf-Epos. Und die Pappmaché-Skeletthand von der Kreatur erwürgt gerade den Sänger…nicht sehr überzeugend, aber lustig. Die Lichteffekte sind da schon unheimlicher: Einer der Percussionisten könnte ein japanischer Obi-Wan Kenobi mit Glatze sein, doch wenn ihn das grüne Licht anstrahlt, sieht er aus wie ein fieses Alien! Ob das die Absicht war?
Über die Musik erzähle ich lieber nicht zu viel, denn die muss man hören! Es gab altbekannte und neue Lieder, wuchtige Trommelbeats, A-Capella-Trinklieder, fröhliche und epische Dudelsackstücke, Texte rund um nordische Sagen… Corvus Corax eben. Eine tolle Show, die uns bestimmt lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein Prost auf die Kolkraben!
Manuela Kuhar ist 2013 nach Braunschweig gezogen und hat sich Hals über Kopf in diese Stadt verliebt! Sie arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin und stürzt sich gerne auf Themen rund um Kunst und Kultur (bisher schreibt sie auch oft über ganz Anderes – siehe hier: www.science-texte.de).