
Mit offenen Augen über Land und mehr
Ich habe ja nur drauf gewartet: Endlich richtig gutes Wetter! Dies ist die ersehnte Gelegenheit, eine Kult-Tour der forscheren Art zu unternehmen! Ich begebe mich sozusagen auf ‚Geo-Caching mit Kulturbonus‘! Denn das „Theater im Glashaus“ hat mich angeregt, nicht nur die Kunst aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, sondern bei einer Tour über Land und mehr für mich ganz neue Seiten unserer Stadt zu entdecken. Und so finde ich mich im Prinzenpark in der noch frühlingsfeuchten Erde wühlend wieder – auf der Suche nach dem Rogenstein, der in der interaktiven Ausstellung „Über Land und Mehr“ des Theaterensembles TiG der Lebenshilfe eine zentrale Bedeutung trägt. Die Ausstellung ist derzeit im einRaum 5-7 zu sehen, doch hier beginnt meine Reise erst.
Fotos: Stefanie Krause und Jens Bartels
Elke Utermöhlen von der Blackhole-Factory hält den Rogenstein in ihren Händen und erkärt mir an auf der Vernissage der Ausstellung „Über Land und Mehr“ von Theater im Glashaus, dass der Rogenstein sehr wichtig für das Stadtbild Braunschweigs ist. Diese Art von Sandstein kommt in unserer Region vor und ist daher in ganz vielen Gebäuden der Stadt verbaut. Seinen auffälligen Namen hat er deswegen erhalten, da seine Oberfläche eine erhabene Körnung aufweist, die dem Fischrogen ähnlich ist. Also das wusste ich noch nicht – Und in diesem Moment greift im Prinzip schon ein zentrale Idee von „Über Land und Mehr“. Erklärtes Ziel des Projekts ist es, eine „Expedition zu den Grenzen des Bekannten“ zu unternehmen und im Rahmen dieser tatsächlichen und im übertragenen Sinne zu verstehenden Expedition die „Orientierung im Alltag“ zu analysieren oder sogar neu zu formatieren. „Was ist uns bekannt, was unbekannt, was entdecken wir neu?“ fragten sich die Mitglieder des Theaterensembles der Lebenshilfe Braunschweig und machten sich unter der Leitung von Elke Utermöhlen und Martin Slawig („Blackhole-Factory“) auf eine Reise durch die Stadt. 25 bekannte Orte Braunschweigs aber auch versteckte Nischen und ungewöhnliche Fundgruben untersuchte die Gruppe und sammelte dort Dinge, Klänge und Bilder ein. Das geschah vor der aktuellen Ausstellung im einRaum 5-7, in deren Kontext Objekte
wie beispielsweise eine achtlos weggeworfene Milchtüte oder eine mit Okerwasser gefühlte Glasflasche nun zu Exponaten erhoben werden sowie Fotos, Videosequenzen und Klänge in einer interaktiven Installation in einem multimedialen Kunstwerk dynamisch verschmelzen können. Interaktiv ist die Austellung aber nicht nur dadurch, dass der Besucher via selbstgebastelter Navigationselemente unterstützt von einer eigens entwickelten Software auf der Projektionsfläche zwischen Ton- und Bildformationen hin- und hersteuern kann (Was übrigens einen Heidenspaß macht!) – Interaktiv ist die Austellung „Über Land und Mehr“ für mich vor allem deswegen, weil sie zum Nachdenken über unsere sonst eher unreflektierte
Wahrnehmungen bekannter Umgebungen anregt, durch die wir uns jeden Tag bewegen. Und so kommt es zu meiner eigenen Expedition zum Nussberg im Prinzenpark, „wo man den Rogenstein finden kann und auch eine Tafel aufgestellt ist“, wie es mir Elke mit geheimnisvollem Blick verrät. Ganz in der Nähe des alten Bunkers, wo ich sonst gerne mal in der Sonne liege und schon so oft an Silvester das neue Jahr begrüßte, steht in der Tat eine Tafel! Die habe ich noch niemals zuvor wahrgenommen! Aber heute suche ich anregt und habe die Augen und den Geist weit geöffnet. Denn der Rogenstein ist gar nicht so leicht zu finden. Die Tafel gibt zum Glück Hilfestellung mit einem Lageplan, der zum alten Steinbruch direkt am Hang des Nussberges weist. Plötzlich fühle ich mich ein wenig wie ein Kind auf Schnitzeljagd und eine Feststellung jagt mir durch den Kopf:
Wir nehmen eigentlich alles viel zu selbstverständlich hin, schauen uns die Dinge nicht mehr neugierig an und verschließen uns damit einem Blick auf die Welt, der beweglich ist – und nicht statisch; der offen ist – und nicht verschlossen; der neue Möglichkeiten zeigt – als an alten Gewohnheiten festzuhängen. Und so ist es für mich an diesem Tag möglich, über zwei ganz kleine, erdverkrustete Rogensteine eine so außerordentliche Freude zu empfinden, über die ich mich selbst wundern muss! Zwischen Laub und anderen Steinen lagen sie versteckt und ich musste eine Weile Ausschau halten. Aber nun bin ich stolze Besitzerin von selbstgefundenen Rogensteinen und habe dabei auch noch etwas über Braunschweig gelernt. So einfach geht das manchmal mit der Kunst, die es mit Leichtigkeit vermag, den Geist wieder ganz nah an das Leben heranzuführen. Vielen Dank an das Theaterensemble für diese so kleine und doch so großartige Erfahrung. Ich bin sehr gespannt, auf welche Wege mich das Theater im Glashaus in Zukunft noch schicken wird!
TiG – Theater im Glashaus, seit 2001 Theater der Lebenshilfe Braunschweig, ist eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern mit unterschiedlichen Kompetenzen, die professionell erarbeitete Theaterstücke, Performances, Musik und Videofilme entwickelt. Livemusik, Sprache, Choreographie, Soundcollagen und interaktive visuelle Experimente werden in enger Zusammenarbeit von Regie und Performern umgesetzt und in ein magisches Weltbild versponnen. Die Grenzen verschwimmen zwischen verschiedenen Kunstformen und Medien zu spannender, authentischer und hochkarätiger Theaterarbeit.
Das Theater im Glashaus wurde aufgebaut, um künstlerisch begabten Menschen mit geistiger Behinderung die Teilnahme am Kulturleben zu ermöglichen und einen Ort zu schaffen, an dem sie eigene Fähigkeiten in der darstellenden Kunst erproben, weiterentwickeln und dem Publikum vorstellen können. Inzwischen hat die Gruppe ihre eigene Arbeitsmethode entwickelt, die ihre Produktionen unverwechselbar macht. Behinderung ist für TiG kein Hinderungsgrund, interessantes Theater zu machen. TiG ist nicht Therapie, sondern Auseinandersetzung mit und Produktion von moderner darstellender Kunst. (Quelle: www.theaterglashaus.de)
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