
Tanzen bis die Bretter brechen!
Auf der Bühne vom Nexus liegt am Freitag, den 15.11.2013, ein Brett. Und Firas El-Simrany von Sinsol sitzt dort wartend auf einer Holzkiste. Im Hintergrund stapeln sich mehrere Wolterskästen – leer. Durch einen dunklen Korridor aus Schatten entschwinden in diesem Moment der Bühne sowie meinem suchenden Blick vier traditionell gekleidete Koreaner mit bunten Trommeln. Wer jetzt denkt, das klingt eher skurril und nach nicht viel Leidenschaft – der irrt. Denn Sinsol spielen gleich auf einem weltmusischen Fest der feurigen Überraschungen. In der Ruhe vor dem Sturm gesellt sich jetzt noch Mauricio Bottazzi mit seiner Gitarre zu Firas. Gleich ist es soweit. Gleich sollen die vielen Gäste eine Flamencodarbietung der Extraklasse erleben…
Text und Foto: Stefanie Krause
Doch was hat Flamenco mit einem Holzbrett und einer Holzkiste zu tun? Nun, das ist zwar ein stinknormales Brett, dessen Sinn und Zweck noch nicht so recht erkennbar ist, aber bestimmt keine übliche Kiste, auf der Firas sitzt. Das ist ein „Cajon“. Mit diesem peruanischen Perscussioninstrument gibt der Musiker aus dem Libanon, der in Braunschweig seit langem lebt und studiert, jetzt den Takt an. Endlich, diese merkwürdig gespannte Ruhe löst sich wohlwollend in dem noch langsamen Rhythmus der warmen Cajon-Klänge auf – doch die Spannung steigt. Als wisse er schon, was jetzt gleich kommen wird, setzt Mauri ein verschmitztes schräges Grinsen auf, senkt seinen Blick auf die
Seiten seiner Gitarre und steigt gekonnten in den Rythmus mit ein. Man merkt sofort, Firas und Mauri sind perfekt aufeinander eingespielt und ihre Musik schlängelt sich warm und vielversprechend in mein Ohr. Mauris Finger schlagen wirbelnde Pirouetten, er spielt traditionelle Flamencoklänge auf seine ganz eigene Weise und es macht ihm sichtlich Spaß. Kombiniert mit kurzen Gesangseinlagen und den urwüchsigen, aber dennoch filigranen Trommelmelodien, die Firas aus dem Cajon herauskrault, ergibt sich die moderne und internationale Interpretation des Flamenco von Sinsol. Innerhalb von Minuten spüre ich: Diese Veranstaltung im Nexus hat unerwartetes Flair! Ich bin froh, dass ich nicht der Freitagsträgheit nachgegeben habe und hierher gekommen bin.
Plötzlich teilt sich der Vorhang im Hintergrund der Bühne mit einer ruckartigen Bewegung: Auftritt Alya Al-Kanani! Die dunkelroten Farben der gemusterten Tapete an den Wänden des Kulturzentrums scheinen in diesem Moment blutrot aufzulodern und das diffus-warme Licht des Scheinwerfers an der Decke beginnt heiß in den Augen zu brennen, als sich Alya langsam zur Mitte der Bühne bewegt. Diese Frau betritt die Bühne nicht, sie tritt auf! Mit einer raubtierartigen Bewegung windet sie sich ganz nach vorne aufs Parket und blitzt dem etwas verschüchterten Publikum mit einem vernichtenden Blick entgegen. Im nächsten Moment wirft sie ihre wilde Mähne in einer ruckartigen aber dennoch geschmeidigen Drehung ihres ganzen Körpers zurück und zerschneidet mit ihren Armen und Händen die Luft. Dann findet sie den Platz, der nur für sie bestimmt ist. Ihre Füße rammen sich mit einem lauten Knall auf das Brett, so dass ich einen kurzen Moment befürchte, das Holz wird unmittelbar unter ihren metallbesohlten Flamencoschuhen zerbersten. Doch das stabile Stück hält. Dagegen scheinen einige der vielen jungen Leute, die sich für diese Weltmusiknacht eingefunden haben, just zu Staub zusammen zu fallen. Selbst ich reiße die Augen etwas auf und hebe unvermittelt eine Augenbraue. Gespannt wie eine Feder tanzt Alya nun zu der sich steigernden Musik von Firas und Mauri einen wahnsinnigen Flamenco, der wirklich kein Auge trocken lässt. Immer wieder setzt sie auf dem armen Brett an und schießt tempoverrückte Tanzschritt-Salven auf das Publikum ab, die einem hämmernden Trommelfeuer gleichkommen. Obwohl einige der Gäste anfangs in der Tat leicht verschreckt wirkten, verlässt niemand bei dieser Show den Raum. Alle stehen wie gebannt da und schauen. Die Energie dieses musikalisch und tänzerisch außergewöhnlichen Auftritts von Sinsol scheint die Menschen sogar magisch anzuziehen. Der große Konzertraum des Nexus, dem Stammort des Vereins zur Förderung unabhängiger Kultur e.V. und größter Treffpunkt der linken Szene Braunschweigs, füllt sich immer mehr.
Das Stammpublikum mischt sich mit den Austauschstudenten und Neuankömmlingen aus aller Welt, die heute hierher gelockt wurden. Dies dürfte ganz im Sinne von Younouss Wadjinny sein. Er hat diesen Abend initiiert. Seit funf Jahren schon gibt es seinen Verein der „Gauss Friends“, dem „Internationalen Kreis der Carl Friedrich Gauß Freunde e.V.„, und seitdem veranstaltet und veranlasst er unermüdlich und mit viel Herzblut Treffen und Aktionen, die ausländische und einheimische Studenten, Alteingesessene und Neuzugezogene in Braunschweig zusammenführen sollen. Wenngleich sein Verein durchaus als sympatisch-chaotisch bezeichnet werden kann, ist sein Konzept durchaus von Erfolg gekrönt. In „5 Jahren Gauß Freunde“ wurden „ca. 3700 Internationale aus 73 Länder“ vom Verein vertreten und unterstützt, erzählt mir Younous, als sei er selbst ein wenig erfürchtig vor diesen Zahlen. Doch ich merke in seiner freundlichen Zurückhaltung auch seinen Stolz. Und den hat er mit Recht: Besonders die heutige Veranstaltung ist überaus gelungen! Stets mit einen lustigen
Lächeln auf dem Gesicht und dennoch ganz souverän moderiert Younouss heute durch ein breites Programm, welches von seiner Abwechslung lebt. Neben dem Flamencofeuerwerk der argentinisch-libanesisch-deutschen Gruppe Sinsol, welches Alya mit einem theatralischen Abgang durch den Bühnenvorhang beendet, gibt es auch sanftere Klänge und Tanzvorführungen. Marwa vollführt einen sinnlichen Bauchtanz zu ägyptischer Musik, ein Duo aus Gitarrist und Sängerin schmeicheln dem Publikum mit mexikanischer Musik und plötzlich springt die quirlige Tänzerin Marianna mutig auf die Tanzfläche und dreht sich feenhaft zu ihrem Samba de Gafieira, einem klassischen weiblichen Solo des brasilianischen Tanzstils. Ich bedauere noch mehr, die indischen und die koreanischen Vorführung verpasst zu haben, als Firas von Sinsol mir von der koreanischen Trommeltruppe vorschwärmt, die kurz vor meiner Ankunft spielte. Na, wenn einer etwas von Percussion versteht, dann ja wohl Firas – also wünsche ich mir eine Wiederholung dieser Veranstaltung vom Gauß Verein – und die Koreaner sollen bitte auch wieder kommen!
Zum Schluss des heutigen Abends taut dann das Publikum auch ein wenig auf, als sie zu Salsaklängen von DJ Filipe aus Costa Rica ihr Können im Paartanz unter Beweis stellen dürfen. Aber die meisten gehen früh, wahrscheinlich müssen sich diese neuen Braunschweiger erstmal an die Zeiten unserer Stadt gewöhnen. Ich ziehe sebstverständlich noch auf einen Absacker weiter. Da ich eine Tanzschule noch nie von Innen gesehen habe, kann ich beim Paartanz auch nicht so richtig punkten. Ich feiere meine Show anschließend zu melodischen Elektrobeats von Billy The Shit / Benny The Kid im Pantone – mit meiner argentinisch-libanesische-deutschen Partycrew, denn alle von Sinsol und noch viele mehr sind mitgekommen. Ach, und ganz wichtig, auch der Produzent von Sinsol ist unter uns, denn bald schon gibt es einen Langspieler von Sinsol. Vormerken!