
Sara Clemens: Spielraum zwischen Hoch- und Subkultur
Am kommenden Samstag ist es endlich soweit: Die Spielraum-Galerie an der Hildesheimer Straße 65 wird eröffnet. Am 29.11.2014 ab 10 Uhr findet die lang erwartete Vernissage auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Noltemeyer statt. Ich war bereits im Vorfeld zu Besuch, um ein paar fotografische Impressionen einzufangen und mich vor Ort über die Hintergründe der Veranstaltung zu informieren. Dazu sprach ich mit Sara Klemens, einer der Mitorganisatorinnen des Projektes.
Interview und Fotos: Jens Bartels/JayBe Photography
Wie ist das Projekt Spielraum-Galerie entstanden und wer hatte die Idee?
Das Gelände der ehemaligen Papierfabrik Noltemeyer gehört mittlerweile dem Investor part AG und wurde für die Dauer des Projektes an The Bridge e.V. überschrieben. Die part AG plant, die Gebäude auf dem Gelände im nächsten Jahr abzureißen und durch Wohnungsbau zu ersetzen. Sie traten im September an The Bridge e.V. heran und boten dem Verein an, das Gelände für ein temporäres Kunstprojekt zu nutzen. Das Konzept der Spielraum Galerie wurde dann von The Bridge e.V. Verein zur Förderung der Hip Hop Kultur entwickelt, der nun auch als Veranstalter auftritt.
Wie bist du mit Spielraum in Verbindung gekommen?
Ich kannte den Verein schon durch seine Aktivitäten in der Jugendarbeit und in Stadtteilprojekten, vor allem von der Graffiti-Brücke im Westpark. Über eine Freundin bin ich auf das Projekt Spielraum Galerie aufmerksam geworden, sie vermittelte mir dann den Kontakt. Ich fand das Projekt gleich spannend und wurde sehr nett ins Team aufgenommen.
Wie viele Künstler sind beteiligt und wie seid ihr an die Künstler herangetreten?
Die genaue Zahl der am Projekt beteiligten Künstler lässt sich schwer nennen, da in den letzten zwei Monaten immer wieder Künstler dazukamen, Kooperationen entstanden, andere gingen. Um die 100 Künstler haben seit Anfang Oktober auf dem Gelände gearbeitet.
Wir haben das Projekt über verschiedene Medien ausgeschrieben. Bis zum 15. Oktober konnten sich Künstler verschiedener Genres für die Teilnahme bewerben. Auf Basis der eingereichten Arbeiten und Konzepte haben wir dann eine Auswahl getroffen. Die Ausschreibung konzentrierte sich vor allem auf Medien aus dem Bereich Graffiti und Street Art, da hier die Wurzeln des Vereins liegen und sich die großen Flächen in den Hallen dafür anbieten. Wir wollten das Projekt aber bewusst für alle Kunstbereiche öffnen und haben es auch in der regionalen Kunst-und Kulturszene beworben. Es ist uns wichtig, dass in der Spielraum Galerie verschiedene Genres, Szenen und Kulturen aufeinandertreffen, Grenzen und Vorurteile zwischen Hoch-und Subkultur abgebaut werden und die vielfältigen Bereiche der Kunst gleichberechtigt nebeneinander und auch miteinander agieren. Dies verursachte in den letzten zwei Monaten auch immer wieder Reibungen und Konflikte, doch wir haben das bewusst in Kauf genommen, denn diese Diskussionen führten oft zum Abbau von Vorurteilen und zu neuen Ideen.
Sind nur regionale Künstler beteiligt? Welche sind DIE bzw. DEINE Highlights aus den Ausstellungsstücken?
Gerade aus den Bereichen Graffiti und Street Art sind Künstler aus ganz Deutschland vertreten, die Künstler aus den klassischen Kunstbereichen stammen überwiegend aus der Region. Ich möchte hier jedoch niemanden hervorstellen, denn für mich geht es bei der Spielraum Galerie nicht in erster Linie um große Namen, sondern um den Prozess des Miteinanders. Auf dem Gelände arbeiten Szene-Größen, etablierte Bildende Künstler, Kunststudenten aber auch Kinder und Jugendliche aus sozialen Einrichtungen gleichberechtigt nebeneinander. Ein guter Name führte bei der Flächen-und Raumverteilung nicht automatisch zu einem besseren Arbeitsort. Uns war Durchmischung wichtig. Es war wichtig, dass auch die, die sonst auf Grund ihres sozialen Status nie die Möglichkeit gehabt hätten, an so einem Projekt teilzunehmen, ernstgenommen werden. Es zeigte sich, dass alle Teilnehmer sehr respektvoll miteinander umgingen, sich gegenseitig unterstützten und wertschätzten, auch wenn die Dispositionen sehr unterschiedlich sind.
Habt ihr externe Unterstützer? Wie wird das Projekt finanziert, habt ihr Sponsoren?
Das Projekt wird durch eine Fehlbedarfsfinanzierung durch die part AG getragen. Weitere finanzielle Unterstützer konnten auf Grund der kurzen Vorlaufzeit für das Projekt nicht generiert werden. Alles, was das Budget nicht deckt, erfolgt in ehrenamtlicher Arbeit und auf eigene Kosten. Zudem genießen wir einige Sponsoring-Vereinbarungen in Form von Sach- oder Dienstleistungen, wie beispielsweise Dosen von Montana und Gerüste von GKZ Gerüstbau. Bauliche Veränderungen wurden von Hoffmann-Bau ausgeführt. Glücklicherweise fanden sich somit viele Unterstützer für die Spielraum Galerie.
Wie organisiert ihr die Party und die Ausstellung? Wo bekommt ihr beispielsweise Strom und Wasser her – in einem stillgelegten Industriegebäude?
Der Verein The Bridge hat schon öfter kleinere Veranstaltungen mit Musik und Workshops organisiert, jedoch noch nichts in diesem Umfang. Uns stellte dieses Projekt vor viele neue Herausforderungen. Besonders die Stromversorgung war von Anfang an ein Problem, da das Gelände nicht mehr an die öffentliche Versorgung angeschlossen ist. Bei der Vernissage und in der Ausstellungswoche nutzen wir nun größtenteils Generatoren für die Stromversorgung. Viel wichtiger erwiesen sich jedoch in der Organisation Fragen der Sicherheit. Wir mussten eine ganz neue Infrastruktur auf dem Gelände schaffen, Notfallpläne, Notausgänge, Feuerschutz. Das Gelände musste von verschiedenen Behörden abgenommen werden.
Am Tag der Vernissage wird uns ein Sicherheitsdienst unterstützen und auch dafür sorgen, dass die behördlichen Auflagen erfüllt werden. Ansonsten hieß die Organisation des Projektes in den letzten Monaten für jeden einzelnen viel Arbeit, viel Improvisation und Enthusiasmus. Wasser und Heizungen gibt es übrigens nach wie vor nicht, also sollte man sich warm anziehen.
Spielraum-Galerie macht ein leerstehendes, zum Abriss bestimmtes Gebäude zu einem temporären Ausstellungsraum. Welches Zeichen wollt ihr damit setzen?
In erster Linie haben wir uns erst einmal über diese in Braunschweig einzigartige Möglichkeit gefreut, denn für uns alle war es das erste Mal, dass wir an der Organisation eines Kunstprojektes in diesem Umfang mitarbeiten konnten.
Für mich persönlich bedeutet das Projekt aber auch, das ich und wir alle ein Stück mehr Teil dieser Stadt werden und uns den Raum, den diese Stadt bietet, für unsere Ideen aneignen. Projekte dieser Art kennt man sonst nur aus Metropolen wie Berlin, New York oder London.
Stadt ist für mich kein anonymes Konstrukt, Stadt ist eine lebendige Struktur voller Individuen, Ideen und Potential. Durch ein Projekt wie die Spielraum Galerie wird ein bisher toter Ort mitten in der Stadt mit neuem Leben erfüllt und bietet gleichzeitig einer Menge verschiedener Menschen Raum, Ideen zu entwickeln und umzusetzen. In diesem Raum findet Vernetzung, Austausch, Begegnung, Diskussion statt. Gleichzeitig wird das Gelände aufgewertet, durch überregionale Resonanz sogar die ganze Stadt auf der kulturellen Landkarte stärker wahrgenommen. In Braunschweig gibt es glücklicherweise noch vergleichsweise viel Freiraum, allerdings werden kulturelle Initiativen und künstlerische Projekte oft an den Rand der Viertel und der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Ich würde mir wünschen, dass das Modell, städtische Brachen temporär künstlerisch zu nutzen, in Zukunft in Braunschweig öfter umgesetzt wird.
Welche Bedeutung haben die Aspekte „Underground“ und „Subkultur“ für das Projekt?
Der Verein The Bridge e.V. arbeitet seit Jahren mit Medien der Hip Hop Kultur im sozialen Bereich und in der kulturellen Vermittlung. In der Spielraum Galerie kommen viele Künstler aus diesem Bereich. Graffiti und Street Art werden im Kunstkontext meistens als Subkultur klar ausgegrenzt. Dabei lassen sich diese Grenzen (heute) nicht mehr eindeutig ziehen. Viele Sprayer arbeiten auch mit anderen Medien, haben künstlerische Ausbildungen. Andererseits grenzen sich auch manche Sprayer klar vom klassischen Kunstkontext ab. Auf beiden Seiten herrschen viele Vorurteile. Wir hatten durch die Größe des Geländes die Möglichkeit, allen Genres viel Raum zu bieten. Für uns war es spannend zu beobachten, wie die teilnehmenden Künstler miteinander agierten. Einige blieben ausschließlich in ihrem eigenen Bereich, es entstanden jedoch auch interessante Kooperationen und es wurde viel diskutiert. Allerdings konnte ich, gerade aus dem klassischen Kunstkontext, in dem ich mich bewege, in den letzten Wochen schon negative Stimmen gegenüber dem Projekt wahrnehmen. Graffiti und Street Art werden von der akademischen Kunst ja immer noch gern der Unterhaltungskultur zugeordnet. Es gab auch Künstler klassischer Genres, die nicht an dem Projekt teilnehmen wollten, weil sie nicht mit den subkulturellen Künsten zusammen ausstellen wollten. Aus dem akademischen Kontext kann ich diese Einstellung verstehen, weil sie der vorherrschenden Meinung entspricht, unterstützen kann und will ich sie jedoch nicht.
Wie groß ist das Medieninteresse und wie hat die Braunschweiger Kulturszene bisher reagiert?
Das Medieninteresse ist gut, Radio, Presse und Fernsehen waren bereits vor Ort. In der lokalen Kunstszene wurde und wird das Projekt positiv aufgenommen, viele lokale Künstler nehmen ja auch an dem Projekt teil. Auch verschiedene lokale Initiativen sind an uns heran getreten und unterstützen das Projekt auf verschiedene Weise. Obwohl wir nicht viel Werbung gemacht haben, scheint sich das Projekt in Braunschweig und auch überregional herumgesprochen zu haben und wir erhalten viel positive Resonanz.
Welche Reaktion der Bürger vor Ort, insbesondere der Kultur- und Kunstszene würdet ihr euch wünschen?
Wir wünschen uns, dass am Tag der Vernissage und in der anschließenden Ausstellungswoche möglichst viele Menschen aus Kunst, Kultur und Politik, Freunde, Fremde und Bürger der Stadt in den Spielraum kommen, sich die Ausstellung ansehen, das Gelände beleben und eine gute und spannende Zeit haben. Es wäre schön, wenn einige Teilnehmende und Besucher daraus den Mut mitnehmen, auch selbst die Initiative zu ergreifen und eigene Projekte zu realisieren.
Du studierst an der HBK Kunstwissenschaft und bist selber als Künstlerin tätig, was würdest du als den interessantesten künstlerischen Aspekt von Spielraum-Galerie bezeichnen?
Für mich persönlich bietet die Spielraum Galerie die Möglichkeit, einen ganzen Raum ohne jegliche Vorgaben und ohne kuratorischen Kontext zu bespielen. Jeder einzelne Raum des Geländes kann ein Ausstellungsraum für sich sein. Ich denke, dass es, gerade für junge Künstler, eine sehr seltene Gelegenheit ist, so viel Raum in Eigenregie zu gestalten. In konventionellen Kunstinstitutionen gibt es immer Vorgaben, räumlich, thematisch, kontextuell, finanziell. In der Spielraum Galerie war es grundsätzlich möglich, sich einen Ort zu suchen, der zu den eigenen künstlerischen Vorstellungen passt. Was an diesem Ort dann passierte, war jedem Künstler selbst überlassen. Das bedeutet viel Freiraum, aber auch viel Verantwortung. Wir haben diese Ausstellung abgesehen von der Auswahl der Künstler nicht kuratiert, jeder ausstellende Künstler war für die Qualität und Präsentation seiner Arbeit selbst verantwortlich. Dadurch sind extrem heterogene aber oftmals auch sehr intensive Arbeiten entstanden.
Was stellst du in der Spielraum-Galerie aus?
Ich zeige eine Rauminstallation in einem Raum des Verwaltungsgebäudes, die an eine Serie anderer Arbeiten von mir anknüpft. Sie ist in den letzten Wochen in und für diesen Raum entstanden.
Erzähl mal ganz konkret: Was wird während der Veranstaltung passieren? Und warum sollte man das auf gar keinen Fall verpassen?
Die Ausstellung eröffnet mit der Vernissage am 29.11.2014. Wir öffnen das Gelände um 10 Uhr, um 11 Uhr wird es eine Eröffnungsrede geben, ab 12 Uhr folgt der erste Musik-Akt, die Band MataHari. Den ganzen Tag über sind alle Künstler vor Ort, die Räume sind zu begehen. Außerdem gibt es diverse Workshops und Info-Stände verschiedener Braunschweiger Initiativen. Im Außenbereich gibt es beim „leckeren Jonathan“ vegetarisches Catering und kühle Getränke. Um 16 Uhr spielt der Braunschweiger Rapper EinsA, zwischen den Live-Acts legen verschiedene DJs auf. Der Eintritt für die Vernissage ist kostenlos, die Party am Abend ab 22 Uhr kostet 5 Euro Eintritt. Bei der Party legen verschiedene regionale und überregionale DJ´s aus dem Techno- und Elektrobereich auf, zusätzlich wird es einen Chillout-Floor geben.
Wer es trotzdem nicht schafft, am Samstag in die Spielraum Galerie zu kommen, kann zum Glück noch an einem der nächsten Tage die Ausstellung besuchen. Von Sonntag 30.11. bis Samstag 7.12. ist die Ausstellung von 11-15 Uhr geöffnet. Danach ist für immer geschlossen.
Vernissage: 29.11.2014 ab 10.00 Uhr / Eintritt frei
Party: 29.11.2014 ab 22.00 Uhr / Eintritt 5 Euro
Ausstellung: 30.11. bis 07.12.2014 täglich von 11.00 – 15.00 Uhr / Eintritt frei