
Rigoletto-Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig
Sex sells – Immer?
Nachdem der Vorhang geöffnet und der Blick auf das Bühnenbild freigegeben wurde, erinnerte nur die von Alexander Prior schwungvoll dirigierte Ouvertüre daran, dass ich in einer Inszenierung Rigolettos von Guiseppe Verdi saß. Die Handlung um den gedemütigten Hofnarren Rigoletto und dessen Tochter Gilda wurde von Regisseur Thaddeus Strassberger kurzerhand in den Abgrund der aktuellen Gesellschaft verlegt. Strassberger überlud das Bühnenbild und bediente sich sämtlicher Klischees aus dem kriminellen Milieu, die die Themen Drogen, Pornos, Box-Center, Mord bzw. Exekution, Wohnen neben Müllbergen bedienten. Dazu stellte sich mir die Frage: Geht Sex eigentlich immer? Pornografische Handlungen wurden im Verlauf des Stücks nicht nur angedeutet, sondern auch als Fotos auf einer Riesen-Videoleinwand eingeblendet.
Text: Alkmini Laucke | Fotos: Volker Beinhorn
„Happy Birthday“ vs. Verdi
Ein kalter Schauer überlief mich, als der Herrenchor eingangs „Happy Birthday“ zu Verdis Musik gröhlte. Der Duca (Matthias Stier) sang dagegen an, die Szene im Boxring wirkte auf mich deplatziert und einfach nur platt und störend. Ja, es gab durch die allerdings schwer zu identifizierenden Akteure und das bunt-überfrachtete Bühnenbild viel zu sehen, nicht zuletzt durch die folgerichtig angepassten Kostüme Madeleine Boyds
Stört die Musik sehr?
Gleich zu Beginn spürte ich den Impuls, die Frage in den Raum stellen zu wollen, ob die Musik denn gerade sehr störe? Ich empfand es als sehr anstrengend, hier eine Brücke zwischen der Musik Verdis und der für mich als befremdlich empfundenen Inszenierung zu schlagen. Bislang habe ich bei meinen Rezensionen eine kurze Inhaltsangabe der Handlung geschrieben. Doch Rigoletto ist eine der bekanntesten Opern Verdis. Nunmehr verzichte ich dieses Mal darauf, weil diese in der erlebten Inszenierung eh schwer wiederzuerkennen wäre – oder: mein Intellekt reichte in diesem Fall nicht zu mehr. Also schreibe ich, wovon ich etwas mehr verstehe: Schließt man die Augen, und das tat ich an jenem Abend diverse Male, war die Musik Verdis, gespielt vom Staatsorchester Braunschweig unter der Leitung des jungen Dirigenten Alexander Prior, dynamisch, an manchen Passagen übermotiviert anmutend, ein Genuss.
Der Glanz einer Ekaterina Kudryavtseva trotzte sängerfeindlichen Begebenheiten
Allen Sängern voraus glänzte Ekaterina Kudryavtseva als Gilda durch ihre grandiose Stimmführung in jeder Lage, einschließlich der anspruchsvollen Koloraturen. Mit geschlossenen Augen ließ sie mich die verschiedenen Gefühlsregungen Gildas spüren. Sicher führte sie ihren Sopran durch das ausgesprochen sängerfeindliche Bühnenbild, welches viel an Stimmmaterial schluckte und allen Sängern überirdische Leistungen abverlangte.
Matthias Stier als Duca, der seinen Tenor mit seinem unverwechselbarem Schmelz stets sicher zu führen wusste, wurde zudem durch die inszenierten Aktionen in eine/mehrere im wahrsten Sinne des Wortes unglückliche Lage/n gebracht. Hier fehlte mir nach wie vor das (künstlerische?) Verständnis, weshalb in einer Oper, die Musik zugunsten einer Inszenierung zurückstehen musste.
Alejandro Marco-Burmester füllte seine Rolle stimmlich kräftig aus, wobei in der Stimmführung mitunter weniger mehr gewesen wäre.
Die Mezzosopranistin Milda Tubelyte ist in einer Doppelrolle als Maddalena und Giovanna zu erleben, zwei verschiedene Charaktere, denen sie mit ihrem differenzierten und klaren Mezzo eindrucksvoll gerecht wurde.
Selcuk Hakan Tirasoglu gab einen finsteren Auftragsmörder Sparafucile mit seinem durchschlagenden Bass ab.
Rossen Krastev als Monterone ließ mit seinem Bass weder an Klangtiefe noch an Stimmvolumen Wünsche offen.
Orhan Yildiz war in dieser Produktion als Marullo relativ kurz zu erleben.
Yildiz bestach in den Szenen durch seinen klangvollen Bariton, sowie durch seine detaillierte Spielfreude.
Besonders angenehm fiel mir Krystof Gasz in der Rolle des Borsa auf. Gleich zu Beginn ließ er seinen Tenor sauber und kraftvoll aufleuchten. Gasz ist Mitglied des Opernchores.
Gleichwohl Leszek Wos als Graf Ceprano, dessen solider Bass sich gelungen einreihte.
Daina Vingelyte als Gräfin Ceprano machte sowohl darstellerisch eine glaubwürdige Figur, als auch stimmlich. Die Sopranistin bestach durch klare Stimmführung und Durchsetzung bis in die hinteren Reihen.
Der Herrenchor sowie der Herren-Extrachor unter der Leitung von Chordirektor Georg Menskes klangen solide und das obwohl auch sie zum Teil sehr ungünstig agieren mussten, wie beispielsweise dann, als sie in den Boxring hinein singen mussten anstatt zum Bühnenraum hin. Diese Aspekte verfälschten die Qualität zu Ungunsten aller Sänger.
Eine Frage des Geschmacks
Man mag diese Inszenierung als Kunst schätzen, sie verstehen oder nicht.
Am Ende ist es doch eine Frage des Geschmacks.
Meinen traf es nicht.
So bin ich auch der Meinung, dass man nicht alles „was man kann“ in ein Werk packen muss. Jedenfalls wirkte die Überladung dieses Werkes in der hiesigen Rigoletto-Inszenierung so auf mich.
Ein absolutes No-Go ist aus meiner Sicht jedoch, die Möglichkeiten der Sänger derart zu beschneiden, wie dies durch das Bühnenbild und die zum Teil nicht zu bewältigenden Regieanweisungen an die Sänger geschah.
Desweiteren besuche ich eine Oper in erster Linie, um die Musik und die verschiedenen Stimmen zu erleben, dann gerne auch um Denkanstösse und Anregungen aufzugreifen. Das was mir in dieser Inszenierung angeboten wurde, empfand ich jedoch als brutal aufgedrängt und als einen Angriff auf Verdis Werk.
Grandiose Umsetzung der Sänger
Applaus am Ende der Vorstellung für die grandiose Umsetzung der Sänger und Musiker – beim Betreten der Bühne durch die Regie, vereinzelt deutlich vernehmbare Buhrufe. Zweifelsohne hat Strassberger sich Gedanken gemacht und sich in das Stück vertieft. Vielleicht geht der Ausdruck künftig auch dezenter.
Vielleicht verstehe ich es auch – irgendwann.