
Opfer einer eigenen Kreation
Klein, gar unbedeutend, manchmal erst auf den zweiten Blick ersichtlich, eingeklemmt oder vollständig verflüchtigt in einer Umgebung, die er selbst erschuf. So erscheint mir der menschliche Protagonist in den Fotografien der aktuellen Ausstellung „Landschaft. Umwelt. Kultur. Über den transnationalen Einfluss der New Topographics“ im Museum für Photographie Braunschweig – insofern der Mensch überhaupt in den Bildern visuell stattfindet. Denn die Ausstellung thematisiert nicht direkt den Menschen an sich, sondern eine Natur, die jedoch durch menschliche Einflussnahme in weiten Teilen ihrer Natürlichkeit beraubt wurde. Somit eröffnet die Ausstellung in den beiden kleinen aber feinen Torhäusern des Museums ein interessantes und manchmal fast schmerzhaftes, umweltkritisches Spannungsfeld zwischen Landschafts- und Architekturfotografie, zwischen Natur- und Industrieansichten.
Text: Stefanie Krause | Fotos: Jens Bartels/JayBePhotography | Mehr Fotos von der Vernissage
Gleich bei meinem ersten Durchgang der Ausstellung während der Vernissage am 22.10.2015 befällt mich ein seltsames Gefühl beim Anblick der in einer wunderbar durchdachten Hängung präsentierten Bilder. Sofort merke ich die unbändige Anziehungskraft, die dieser Bilderzusammenschluss auf mich entwickelt. Denn die Werke schienen versteckte Geschichten zu erzählen, die auf den ersten Blick dezent-deutlich nur zu erahnen sind und erst auf den zweiten Blick einen Teil ihrer Botschaft preisgeben. Trotz der Motivvielfalt und der unterschiedlichen fotografischen Herangehensweisen der Künstler aus rund sechs Ländern existiert hier ein gemeinsamer Nenner: Ein roter Faden zieht sich durch die Ausstellung, der nichts Gutes verspricht. Die Zerstörung und Ausbeutung der Erde, die rücksichtslose Überbauung und Verformung von natürlichen Umweltbegebenheiten, die Auswirkungen des oft rücksichtlosen Umgangs des Menschen mit der Natur und die oft hilflosen Versuche des Menschen, das lebenserhaltende Natürliche zurück in ein künstlich erstarrtes Leben zu holen sind die existenziellen Aspekte, die diese Ausstellung berührt. Das negative Ausmaß
dieser Aspekte ist in den Bildern jedoch nicht in drastischer und effektheischender Art und Weise visualisiert. Versteckt hinter einer manchmal banal erscheinenden Motivwahl ist der fortschreitende Niedergang der Umwelt hintergründiger und damit auf gewisse Weise bedrohlicher zu erspüren als etwa bei „spektakulär inszenierte[n] Bilder[n] des Grauens, der Zerstörung der Erde, aber auch des menschlichen Leids“. So beschreibt Dr. Gisela Parak, die Leiterin des Museums, in ihrer Eröffnungsrede den „fotografische[n] Pathos“ in emotional unmittelbar wirkungsvollen Medienbilder, zu denen sie die Bilder der Ausstellung „Landschaft. Umwelt. Kultur.“ deutlich abgrenzen möchte. „Sehr anders werden Sie die meisten Bilder dieser Ausstellung empfinden, die wir heute eröffnen“, richtet sie sich direkt an die zahlreich erschienenen Besucher der Vernissage und gibt diesen damit einen ersten Leitfaden für die Betrachtung an die Hand. Vielmehr ließe sich „eine trockene, distanzierte Darstellungsweise“ laut Parak beobachten, „und die dargestellten Orte wirken fast unscheinbar, oder auch ‚banal‘, um eine wichtige Debatte der 1970 Jahre anzureißen“. Damit bezieht sie sich auf die „historische Stoßrichtung“ der Ausstellung, „verfolgt sie doch und zeigt auch auf, wie das Werk der 1975 als ‚New Topographics‘ zusammengefassten Fotografen die Fotografie aller westlicher Länder beeinflusste. […] Die Braunschweiger Ausstellung führt somit aus, wie FotografInnen seit über 40 Jahren das Thema der menschengemachten Veränderung der Natur erkannt und lebendig gehalten haben.“
Das nüchtern Feststellende gilt als wichtigstes Stilmittel der New Topographics von damals und dieses Erbe ist deutlich in den aktuell im Museum für Photographie ausgestellten Bildern zu spüren. Denn trotz tiefgreifender thematischer Verortung ist die Ästhetik der Bilder von einer wundersamen Zurückhaltung geprägt. In weitwinkligen Landschaftsdarstellungen prangen dampfende Industriekomplexe und scheinen mit der grauen Umgebung zu verschmelzen. Landstriche werden von Autobahnen und Straßenplanken empfindlich durchschnitten. Natur wird analytisch und nüchtern auf ihre Begebenheiten hin untersucht und erscheint als leblose Überlagerung von flächig abgebildeten Schichten. Frontal abgelichtete Objekte aus Stadlandschaften werden zu Motiven einer emotionsreduzierten fotografischen Herangehensweise. Horizonte erscheinen wie exakt gesetzte Linien zwischen Himmel und Erde. Monumentale Gebäude und urbane Plätze werden zu bildlichen Strukturelementen degradiert. Wasser und Erde verlieren ihre natürliche Ausstrahlungskraft, Gras wird zu einem künstlich anmutenden Bodendecker. Zusehends verschmilzt Natur und Kultur zu einem ausdruckslosen Ganzen, welches jeglicher Einzigartigkeiten und individueller Merkmale beraubt ist. Monokulturen, Äcker, Architektur, Natur, Stein,
Beton, Brücken, Bäume, Kleinstadthäuser, Müllreste, Straßenschilder, Blumen, Tiere – alles ist auf gewisse Art und Weise gleichbedeutend und gleichzeitig unbedeutend dargestellt. Dabei entwickeln die Bilder, ob sie nun einen weiten Blick in die Ferne oder eine als schmucklos anzusehende Detailansicht zeigen, auf zurückhaltende Art eine erstaunliche Anziehungskraft. Mein Entdeckersinn wird angerührt und ich gehe den Werken auf die Spur. Dabei bleibt mein Blick immer wieder an den Fotografien hängen, die bei genauerer Betrachtung menschliches Leben zeigen oder eben auch nur erahnen lassen. Es ist, als suchte ich wie besessen nach dem letzten Rest Lebendigkeit in dieser künstlichen Umgebung – Natur? Auf einer in Graustufen gehaltenen Fotografie zieht sich mein Blick zunächst in die Tiefe und ich betrachte eine Weile die bildraumdominierenden Industrieschornsteine, bis mein Blick in den unteren Bereich der Fotografie wandert und unvermittelt auf eine Gruppe Menschen fällt. Sie sind durch eine Graswüste von der Fabrik abgetrennt und haben eine Art Picknicklager mit Stühlen und Liegen aufgeschlagen. Das in das kollektive Gedächtnis eingegangene Bild „Das Frühstück im Grünen“ des impressionistischen Malers Manet scheint hier ad absurdum geführt zu sein, denn grün ist in dieser
Umgebung schon lange nichts mehr. In einer anderen Bilderserie wirken die verschwindend kleinen menschlichen Figuren als farbig gleichgeschaltete Marionetten auf einer viel zu groß geratenen Bühne. Immer wieder stößt mein Auge auf unscheinbare Spuren von menschlichen Hinterlassenschaften in einer unwirtlichen Natur: eine Trinkflasche aus Plastik, eine Reifenspur, die aus dem Nichts erscheint, ein im unfruchtbaren Boden halb verschwundenes Stück Metallschrott. Doch vom Menschen selber keine Spur. So ist er in den meisten Bildern schlicht und ergreifend gar nicht mehr existent. Auch die saubere Straße einer Kleinstadt: verlassen und menschenleer.
Obwohl sich der Mensch aus eigenem Willen und aus eigener Kraft diese Umgebung erschaffen hat, scheint er nun in ihr verschluckt zu werden und in ihr seiner Lebensgrundlage beraubt zu sein. Zwar nehmen die zeitgenössischen Künstler der Ausstellung Bezug auf die New Topographics der 70er Jahre, jedoch erscheinen mir ihre Botschaften doch drastischer und deutlicher ausgeprägt zu sein. Weg von einer durchweg nüchternen und vermeintlich rein feststellenden Bildfindung, hin zu einer ökologisch-kritischeren Bildsprache: Der Mensch in Landschaft, Umwelt und Kultur: ein Opfer seines eigenen Tuns.
„Landschaft. Umwelt. Kultur. Über den transnationalen Einfluss der New Topographics“
Museum für Photographie Braunschweig e.V. | Helmstedter Straße 1 | 38102 Braunschweig
Mit Arbeiten von Hans Aarsman, Theo Baart, Christina Capetillo, Carma Casulá, Jennifer Colten, Jean-Louis Garnell, Rachael Jablo, Joachim Schumacher und Bettina Steinacker
Ausstellungsdauer: 23.10. – 29.11.2015
Öffnungszeiten: Di-Fr: 13:00-18:00 | Sa-So: 11:00-18:00 | Sonntags, 16 Uhr öffentliche Führungen | Informationen zu Sonderterminen: www.photomuseum.de
Besondere Empfehlung: Symposium am Freitag, den 30.10.2015 von 9 – 18 Uhr: »From a „Topographic“ to an „Environmental“ Understanding of Space—Looking into the Past and into the Presence of the New Topographics Movement« | Tagungsort:: Architekturpavillon der TU Braunschweig, Pockelsstraße 4, 38106 Braunschweig | Eintritt frei, Anmeldung unter: info@photomuseum
Anm.: Alle Zitate in diesem Text entstammen Dr. Gisela Paraks Eröffnungsrede vom 22.10.2015