
Lindendiven oder die „Riot Grrrls“ der Oper
Was für eine Bühnenpräsenz! Mit der drückte sie, voll ausgespielt, noch im allerletzten Winkel des ausverkauften Braunschweiger Lindenhof-Theaters jeden Gast an die Wand. Ach so, von wem ich spreche: Alkmini Laucke, meiner Kollegin hier bei Kult-Tour Der Stadtblog. Sie gab am 3. März ein Konzert mit „Drei Diven und zwei Herren“ im Lindenhof, als Teil der Reihe „Lokale Helden“. Und als solche empfahlen sich die drei Damen mit zwei Gastmusikern und einem spontanen Bonus-Bandoneonspieler sehr wohl. Die Staatstheater-erprobten Klassik-Vollprofis brachten die Hochkultur zu den Menschen – als Riot Grrrls der Oper.
Text und Fotos: Matthias Bosenick
Drei Diven, drei Charaktere: Diana Kager, Sopran, blond, eher zurückhaltend, die Zarte, Zerbrechliche, die träumerische Lieder sang, gern aus Musicals, und dann um ein Vielfaches besser als dort. Martina Bockholt, Sopran, rothaarig, verrucht, fordernd, lauernd, die wirkte, als sei sie auf Beute aus, und man war sich nie so richtig sicher, ob sie die in Reihen der Musikliebhaber suchte oder der potentiellen Liebhaber. Alkmini Laucke, Mezzosopran, schwarhaarig, feurig, vor Kraft strotzend, die sie nicht ausspielen musste, um sie wahrnehmbar zu machen, der man das Männermordende spielend abnahm und die den Eindruck erweckte, durch schiere Präsenz alles erreichen und mit nur etwas mehr Einsatz alles zu ihrem Vergnügen einreißen zu können.
Zum perfekten Genuss hatten sich die Drei Diven zwei Musiker ausgesucht, die zur Qualität des Abends einen erheblichen Beitrag leisteten: Holger Becker am Klavier brachte den verschmitzten Humor eines kulturell Gebildeten ins Programm, indem er als Tenor Lieder sang wie „Oper ist tot“ oder Lyrik über Lyrik rezitierte. Josef Ziga spielte die Violine mit einer unfassbaren Leichtigkeit und absolut vollendet. Und als Gast hatte nur einen Abend davor Christian Horn von sich aus gebeten, am Programm teilhaben zu dürfen, und brachte dafür Kontrabass und Bandoneon mit. Als Band waren die drei für die Diven mehr als nur Begleiter. Sie wussten sich zurückzunehmen, wenn die jeweilige Sängerin einen inszenatorischen Moment im Zentrum der Aufmerksamkeit hatte, und ebenso voluminös aufzuspielen, wenn die Lieder dies erforderten. Auch der Rock’n’Roll bewies, dass man schon zu dritt ein ordentliches Pfund auf die Waage bringen kann. Meistens setzten die drei Musiker indes zugunsten des Gesangs lediglich Akzente, und mit diesem streckenweise fast reduzierten Musikeinsatz zwangen sie das Publikum zum genauen Zuhören, denn so fiel jeder Ton ins Gewicht und ließ der Vortrag beim Zuhörer kein abschweifendes Versinken im Sound zu. Das zeigte sich besonders bei den getrageneren Stücken in der ersten Hälfte als geschickter Kniff. Nach der Pause zog das Tempo an, befreite sich der Schalk aus seinen Fesseln und gewann die Lebensfreude die Oberhand, und all dies drückte sich dann auch in einer üppigeren Instrumentierung aus.
Zunächst wog das Trio sein Publikum mit klassischen Stücken in einiger Sicherheit, was die überragende Qualität in der Programmauswahl betraf; sie passte zum Anlass sowie zur Ausbildung sämtlicher sechs am Abend beteiligten Künstler und damit zur selbst erzeugten Erwartungshaltung. Klassik und Oper, ein bisschen Operette – und dann der erste Stilbruch von Holger Becker, der mit seinem Lied „Oper ist tot“ die Hochkultur auf den Boden brachte. Damit fand das Programm seine Entsprechung in der Aufführung, denn die fand nicht auf der zwar hohen, aber doch kleinen Bühne des Lindenhofs statt, sondern davor, also ebenfalls auf dem Boden. So reduzierten die hochrangigen Aufführenden auch auf räumliche Weise die Distanz zwischen Kultur und Publikum, wie sie sich üblicherweise darstellt und wie sie somit oftmals Unbedarfte abschreckt. Hier nicht und niemanden: Als dann Musicals, Schlager, Chansons und Tango Nuevo zur Aufführung kamen, wagten einige Zuschauer das Schlimmste, das man sich im Staatstheater hätte vorstellen können: Sie klatschten den Rhythmus mit, und hier war dies ausnahmsweise alles andere als unangemessen. Es war ein Fest, wenn nicht eine gemeinsame Party.
Die humorigen Anteile waren, nun, fast typisches braves Gebildetenkabarett, aber lustig. Die Künstler zerlegten etwa das textlich in der Tat reizarme „Es grünt so grün“ aus „My Fair Lady“ oder sangen ein Katzenduett, in dem Diana Kager und Martina Bockhold um die Wette miauten und maunzten; einerseits befremdlich, andererseits offenbarten die beiden gerade in diesem Stück, wie formidabel ihre Stimmen korrespondierten. Und wenn Josef Ziga die drei Sängerinnen gegen Ende vorsichtig fragte, „habt ihr noch etwas vorbereitet?“, dann schwang da latent despektierlich ein implizites „etwa“ mit. Süß, ja; und so herzlich und sympathisch zeigten sich alle sechs Beteiligten. Über das vollendete Können hinaus war dies sicherlich ein wichtiger Faktor, mit dem das Ensemble sein Publikum im Sturm eroberte. Und der Sturm blieb nicht aus, der Applaus war berechtigt. Rock’n’Roll!
Und Alkmini, meine liebe Kollegin, meine Herrn: Sie stellt nicht dar, sie war einfach da, und sobald sie auch mal darstellte, drückte sie alle an die Wand. Ihre Wirkung lebte von einer eindrucksvollen Natürlichkeit, ihr süffisantes Lächeln bei entsprechenden Texten wirkte niemals einstudiert.
Was für eine Spannbreite, oder? Eben noch Punk, dann Folk-Pop und nun Opern-Diven: Das alles ist Kult-Tour Der Stadtblog. Und das nennt jetzt nur die musikalische Ebene als ein Teil des großen Ganzen. Dabei existiert all das nicht nebeneinander, sondern eng miteinander verknüpft und befreundet. Was sagt ein Brandenburger, wenn man ihm die Tür aufhält? „Geht doch!“