
Kulturackern im Underground
‚Kultur machen‘ ist auch Arbeit. Gerade über die Weihnachtstage fordern Braunschweigs Kreative einer armen Bloggerin eine Menge ab. Aber was erzähle ich, man muss sich im Grunde nur aufraffen und dann ist es entspannter als man denkt. So bin ich angenehm überrascht, dass sofort jeglicher Stress von mir abfällt, als ich mich an einem vorweihnachtlichen 19. Dezember 2013 in einen gut gepolsterten Stuhl der Kaufbar fallen lasse. Sehr entspannt. Gespannt bin ich aber dennoch wie ein kleines Kind, welches auf den Weihnachtsmann wartet. Denn heute ist Buchbauer-Premiere! Veranstalter Torsten „Toddn“ Kandziora hat mich zwar im Vorfeld gekonnt geneckt und meinem journalistischen Recherchetrieb Einhalt gewährt, doch ein verruchtes Gefühl von Underground-Literatur-Musik-Szene schimmern dennoch hinter der geheimnisvollen Fassade seines Buchbauer-Mysteriums hervor. Und was könnte meine Neugier mehr herausfordern, als eine solche Kombination!?
Text: Stefanie Krause | Fotos: Angelika Stück
Wie es auch als Kind damals an Weihnachten schon war: Bevor die Geschenke ausgepackt werden dürfen, muss geduldig aufgegessen werden. Das ist heute kein Problem für mich, denn ich habe einen Bärenhunger und in der Kaufbar gibt es jeden Tag leckere, selbstgemachte Speisen. Die servierte Portion Lasagne mit Salat befriedigt sogar meinen Appetit. Für diesen Preis passiert mir das nicht gerade oft. Nachdem am vorherigen Tag zur Weihnachtsfeier des KufA – Kultur für Alle e.V. eine Kiste Bier unterm Baum gestanden hat, ist dieses deftige Mahl jetzt genau das Richtige für mich. Das Gefühl von Gestern, welches ich mit dem leicht abgewandelten Vereins-Motto „Kulturfamilie für Alle e.V.“ umschreiben möchte, transportiert sich auch in den heutigen Abend hinein. Bekannte aber auch neue sympathische Gesichter schauen mir am runden Tisch entgegen und alle sind gespannt auf den Beginn der Veranstaltung. Jetzt will ich es aber endlich mal wissen, Toddn! Da kommt er ja auch schon und schwingt seinen Notizzettel zur Einführungsrede, für die er die vorbereiteten Stichworte dann doch nicht braucht. Wie immer nörgelt er ein bisschen, aber ich glaube, das gehört zu seinem Unterhaltungskonzept. Fest steht auf dem Programm, dem Mainstream und der Kulturmonopolisierung etwas entgegenzusetzen und den Underground zu preisen. Dagegen habe ich bestimmt nichts einzuwenden!
Heute improvisiert Toddn ganz professionell. Leidenschaftlich stellt er sein neues Projekt vor, welches sich als ein im Underground der 80er Jahre verwurzelter Buchverlag herausstellt. Denn Toddn ist nicht erst seit Gestern im Verlagsgeschäft – Entschuldigung: im Underground-Verlagsgeschäft! – und hat für die heutige Buchbauer-Premiere das Buch einer Koryphäe der Braunschweiger Kreativszene mitgebracht. Das kann man schon so sagen. Beziehungsweise sagen mir das andere, denn ich kannte Ulrich Meyer-Degering bis dato noch nicht. Aber jetzt verstehe ich! Er ist es, der sich hinter dem Kürzel U.M.D. versteckt und aus seinem Buch „Skai 1.3“ wird heute gelesen. Aber nicht nur das – Ulli Meyer-Degering ist persönlich anwesend und begleitet die Veranstaltung musikalisch. Wie es mir vorher erzählt wurde, ist er offenbar tatsächlich ein „Multitalent“. Um die angemessene Präsentation des prominenten Schriftstücks kümmert sich jedoch Tilman Thiemig. Er wird heute mit seinem ganz speziellem Talent aus Skai 1.3 vortragen und versucht dafür im Anschluss an Toddns Auftaktsprüche, eine gemütliche Leseposition auf dem hölzernen Barhocker auf der Bühne zu finden.
Wie gut, dass sowohl Mikro als auch Buch nicht in den Händen gehalten werden müssen, sondern stattdessen fest auf Stativ und Pult installiert sind. So bleibt während der Tilman-Show alles in der richtigen Position. Grandios setzt er Stimme, Mimik und Gestik ein, um dem Text und jedem einzelnen Protagonisten Leben einzuhauchen! Erzählt wird vom Lebensgefühl der 80er Jahre, von romantisch-coolen New-Wave-Attitüden und schillernden Kunstfilmeskapaden, die Polohemd-Popper und Strickpulli-Hippies vor Neid erblassen lassen. Ich bin sofort von der Geschichte mitgerissen und finde mich in der Vergangenheit der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig wieder. Das ist für mich natürlich ganz besonders interessant, habe ich doch selbst einige Jahre mit meinem Studium an der HBK verbracht. Ja ok…einige Jahre mehr. Zur Hölle mit dem Unwort ‚Regelstudienzeit‘ – warum sollte für mich auch in den 2000er Jahren das Motto „Punk is not dead“ seine Gültigkeit verloren haben?
Irgendwie entsteht während der Lesung aus Skai 1.3 eine Art New-Wave-Szenerie in meinem Kopf und ich möchte plötzlich vorschlagen, dass die Kaufbar doch das Putzlicht anschalten möchte, um einen passenden elitär-kühlen Neonröhren-Effekt zu erzielen. Doch ich besinne mich im letzten Moment, denn schließlich ist bald Weihnachten und zu der Veranstaltung würde diese Perspektive im Übrigen auch nicht passen. Es ist einfach gemütlich gesittet und zwischen den Lesepassagen klampft und singt Ulrich mit seiner Gitarre und wird dabei vom Sofa aus von Peter am Bass begleitet. Die zahlreichen Gäste haben die Möglichkeit, sich ein Getränk an der Theke zu holen oder zwischendurch einen Schnack zu halten. In einer solch gemeinschaftlichen Athmosphäre kommt es zu vielen Verknüpfungen oder auch zu einer Spontanpressekonferenz im Vorraum mit dem ebenfalls anwesenden Zitrone Rock. Wir beide geben Toddn Recht, der mit seinem Buchbauer-Projekt ein recht bodenständiges Punk-Konzept verfolgt. Seit einigen Jahren wohnhaft auf dem Land, ließ sich Torsten von landwirtschaftlichen Ertragszielen und bäuerlichen Tugenden inspirieren, entnahm ich vorhin seinen Erzählungen. Er erschuf also die Buchbauer, die sozusagen den Undergoundacker pflügen und bestellen, damit auch unbekanntere Künstler aus ihrer kreativen Arbeit Erträge erzielen können. Von irgendetwas muss man ja leben – Hauptsache man macht es selbst und bleibt im Herzen Punk! Ganz im Sinne des ganzen Zusammenhanges bietet Torsten heute auch im rustikalen Bauchladen die Früchte seiner Verlagsarbeit an. Doch bereits mit dem Eintrittspreis haben die Besucher ein Exemplar von Skai 1.3 erworben und sie dürfen sich auch in Zukunft auf eine reiche Ernte freuen. Am 16. Januar 2014 lädt Torsten Kandziora erneut zum Buchbauer Neujahrsempfang und ich komme bestimmt wieder!