
Kult-Tour elektrisiert! – Teil 2
Hände recken sich euphorisch in die Höhe, formen Herzen, wippen im Takt der Musik und drücken sich gegen das beschlagene Schutzglas vor dem DJ-Pult im Brain Klub. Die Tanzfläche kocht! Denn die rauschende Partynacht mit „Stil vor Talent“ ist bereits im vollen Gange. Darauf fiebert die regionale Electroszene und Kult-Tour Braunschweig schon seit Wochen hin! Electro-DJ Oliver Koletzki besucht am 12.04.2014 seinen Heimatclub in Braunschweig und bringt gleich zwei seiner Labelkollegen mit. Kult-Tour Braunschweig freut sich auf velschichtige, elektronische Tanzklänge von Oliver Koletzki, Niko Schwind und Nhan Solo, die von melodisch-sphärisch bist hart-basstreibend reichen. Im zweiten Teil von „Kult-Tour elektrisiert“ feiere ich zum Sound von Stil vor Talent und erkunde Braunschweigs ureigene Szenegeschichte. Denn: Die Electroszene ist tiefer in Braunschweig verwurzelt, als manche in Berlin und anderorts möglicherweise annehmen!
Text: Stefanie Krause | Foto: Jens Bartels/ Jaybe Photography
Insbesondere der Brain Klub stellt heute wie damals ein Dreh- und Angelpunkt der Electroszene dar und ist nicht zuletzt Heimatclub des inzwischen weltweit bekannten und geschätzten DJs Oliver Koletzi. Heute heißt es auf ein Neues „Stil vor Talent Labelnight“ und das ist ein willkommener Anlass, die Geschichte des Kultladens und Oliver Koletzkis steile Karriere in den Blick zu nehmen. Denn Oliver Koletzki und das Brain gehören in Braunschweig untrennbar zusammen! So wird der Club im Herzen des Partyviertels jedes Mal zum absoluten Publikumsmagneten, wenn Stil vor Talent hier zur großen Labelnight einlädt. Deswegen habe ich mich extra ein wenig später auf den Weg gemacht und doch stehe ich bei meiner Ankunft prompt in einer meterlangen Schlange vor dem legendären Tanzclub Braunschweigs. Wie die Motten zum Licht zieht es Liebhaber der elektronischen Musik und eingeschweißte Szenegänger zum Brain am Bruchtorwall, wenn es heißt: Oliver Koletzki ist auf Heimatbesuch! Kein Wunder, bedeutet diese Ansage doch eine Garantie für eine rauschende Partynacht mit tanzfreudigen Gleichgesinnten und hochkarätigen Djs. Unter Oliver Koletzkis Label „Stil vor Talent“ ist mittlerweile eine amtliche Anzahl namhafter Künstler gelistet. So sorgen zum heutigen Abend neben Oliver Koletzki höchstpersönlich auch Niko Schwind und Nhan Solo für den richtigen Soundtrack für eine lange Partynacht, die so schnell kein Ende nehmen wird. Denn bekanntlich stehen die Türen des Brain bis in die frühen Morgenstunden offen, womit es sich seit der Gründung im Jahre 1995 zu einem der beliebtesten Nachtclubs beim Braunschweiger Partyvolk etabliert hat.
Das ist einer der ganz großen Vorzüge des Brains. Man kommt an und fühlt sich eigentlich gleich wie zu Hause. Die Einrichtung des Clubs ist urig und gleichzeitig modern und mir schon seit Jahren und nach unzähligen Partys bekannt. Eigentlich trifft man immer bekannte Gesichter und so nimmt schon die Begrüßung der Mitarbeiter am Eingang, hinter Theke und Garderobe erstmal einige Zeit in Anspruch. Doch ich kann nicht zu lange verweilen, ich suche jemanden. Anja war heute die Vorhut und eigentlich weiß ich ganz genau, wo ich sie finde: Mit geladener Kamera auf Bilderfang beim DJ-Pult. Ich muss den verwinkelten unteren Bereich des Brains mit gemütlichen Sitznischen und einer höher gelagerten Theke erst einmmal durchqueren, bis ich zum DJ-Pult vordringen kann. Es ist richtig voll, doch eins merke ich sofort: Die Gäste sind super drauf und obwohl ich mich hier und da mit etwas mehr Nachdruck durchdrängeln muss, gibt es von Niemandem böse Blicke. Ich habe selten einen so angenehmen und aggressionslosen Abend in Braunschweigs zentralem Partyviertel erlebt. Es gibt weder Gerempel auf der Tanze noch dummen Sprüche an der Theke. Jeder feiert und tanzt, wie es ihm am besten gefällt und respektiert dabei die Grenzen der Anderen. Das Publikum am heutigen Abend scheint die gleiche Energie zu vereinen: Alle möchten einen friedlichen Abend verbringen, wollen Tanzen und Feiern zu guter Musik! Diese ansteckende Euphorie und gemeinschaftliche Stimmung spiegelt sich in den Songs, die Niko Schwind im Moment meiner Ankunft für das Publikum auflegt. Die Plattenteller drehen sich im Akkord und die Tanzfläche ist bereits am Kochen. Dann sehe ich es hell aufblitzen und weiß sofort, wo Anja ist. Im Pulk einer eingeschworenen Stil vor Talent-Fangruppe wuselt die Fotografin emsig herum und richtet das Objektiv höchst gezielt auf die besten Augenblicke des Abends.
Im Fokus ihrer fotografischen Aufmerksamkeit stehen die ekstatischen Gästen, die nahezu alle wie bei einem Konzert hinüber zum DJ Pult jubeln, und selbstverständlich die DJs, die auf ihrer ‚Bühne‘ an den Plattentellern alles geben. Niko Schwind weiß ganz genau, wie er die Stimmung der Gäste stetig in frohlockende Höhen hochkurbeln kann. Seit 2001 legt der charismatische DJ vor Publikum auf und seine Fans wissen seinen Stil zu schätzen. Dabei stechen Niko Schwinds leidenschaftliche Produktionen definitiv aus dem weiten Feld der elektronischen Musik heraus, denn er transportiert mit viel Gefühl für die richtigen Melodien in jedem Song eine ganz bestimmte Stimmung. Mit tanztreibenden Minimal-House-Beats unterlegt, schicken seine nahezu narrativen Klangexperimente das Publikum auf eine höchst sinnliche Reise. Und diese Reise nimmt kein Ende, als der DJ-Wechsel stattfindet. Nhan Solo ist jetzt am Start und trägt die Menge weiter auf diesem leidenschaftlichen Tanztrip. Der ganz spezielle Deep-House, den er spielt, sticht mit verspielten Melodieparts heraus, die mich manchmal an die glitzernden Discozeiten der 70er Jahre erinnern. Das macht schlicht und ergreifend Spaß! Denn zwischen den groovenden Rhythmen gibt es immer wieder diese Momente, bei denen innerlich bei mir die Sonne aufgeht und sich automatisch ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Nhan Solo bietet mit seinem Set gleichzeitig Stoff zum ausgelassenen Abtanzen und genießerischem Träumen. Dabei hat auch er selbst offenkundig einen Heiden-Spaß an seinem Job und bekommt dafür von mir einen Extrapunkt für sympathisches Auftreten. Nachdem er großzügig sein neueste Promo-CD unter den dankbaren Gästen verteilt hat, beendet er sein Set mit einem ganz besonders euphorischen Song, der perfekt zum unangefochtenen Star des Abends überleitet.
Zur späten Stunde kommt Oliver Koletzki im Brain an und wirkt trotz der langen Fahrt von einem Termin in Hamburg völlig entspannt. Oliver Koletzki ist inzwischen Vollprofi und einer der angesagtesten DJs der Szene, das kann man ganz klar sagen. Und doch sucht man bei ihm vergeblich Starallüren. Fast schon ein wenig zurückhaltend beginnt er sein Set, nachdem er seine Fans begrüßt hat. Die Menge ist außer sich, viele zücken ihre Handy und schießen erstmal ein Foto. Oliver Koletzki bleibt dabei erstaunlich konzentriert und widmet sich aufmerksam seinem Set. Die Liebe zur Perfektion sieht man ihm förmlich beim Auflegen an und es ist eine Freude, ihn dabei zu beobachten. Oder man schließt einfach die Augen und lässt sich von der nicht weniger perfektionistischen und sehr vielschichtigen Musik hinwegtragen. Oliver Koletzkis Songs bleiben niemals im monotonen Modus hängen. Mit viel Anspruch setzt der DJ und Produzent immer neue Akzente. Das Repertoire seiner Songs bietet dabei tiefgründige Deep-House-Perlen bis hin zu clubtauglichen Tanzhits. Koletzki kombiniert mit einem unverkennbaren Talent zur richtigen Mischung melodisch leicht zugängliche Parts mit individuell-subkulturellen Sounds und das wissen die Braunschweiger zu schätzen! Die ausgelassene Menge ist entzückt und muss sich nach dem Set erstmal wieder einkriegen. Das Brain bleibt deswegen heute ganz besonders lange auf und ist bis zu dem Moment, an dem das Licht angeht, noch mit einem gut gelaunten Publikum gefüllt. „Ja, wir sind noch auf dieser Welt“, sage ich mir, als ich das Brain dann endlich verlasse und den gleißend hellen Sonnenstrahlen glücklich entgegenblinzele.
Ihr wollt mehr wissen? Jens hat für euch recherchiert:
Exkurs No. 1 von Jens: Von vielen Besuchern oft auch noch zu später Stunde besucht, stellt das Brain schon immer den Laden dar, in dem man die ganze Nacht bis in den Morgen hinein tanzen und feiern kann. Musikalisch ist das Brain mit der Zeit gegangen und hat sich seit jeher auf aktuelle Strömungen der Musikszene eingelassen. Elektronische Musik war bereits in den Anfängen vertreten. Damals allerdings nicht als Hauptthema, die musikalischen Stile waren in den ersten Jahren bunt gemischt. Nachdem zum Jahrtausendwechsel das allgemeine Interesse an elektronischer Musik wuchs, hat auch das Brain zur Mitte des letzten Jahrzehnts das Thema komplett aufgefasst und sich auf die Electro-Szene fokussiert. Die Liste der Szenegrößen ist lang: Regelmäßig bespielen angesagte DJs das Brain! Dabei ist der Laden immer auf dem Boden der Tatsachen geblieben und hat seine offene Konzeption nicht geändert. Der Club hat sich seinen subkulturellen Stil auch nach mehreren Umbauten stets erhalten.
Exkurs No. 2 von Jens: Oliver Koletzki, seit mehr als 20 Jahren DJ und mittlerweile als Produzent tätig, legt seit jeher Wert auf Authentizität. So lässt er sich auf dem von Chrissie Kunst gezeichneten Cover seines aktuellen Albums „I am O.K.“ als 13-jähriger mit ‚Nerdbrille‘ darstellen. Damals wie heute: Er ist Oliver Koletzki, unverstellt und ohne Allüren – authentisch eben! Mit 18 Jahren legte der Ur-Braunschweiger bereits auf und das Brain war über viele Jahre sein angestammter Club, bis es ihn im Jahr 2000 schliesslich nach Berlin zog, um sein Hobby auf berufliche Wege zu bringen. Als 2005 der Durchbruch gelang, nachdem kein Geringerer als Sven Väth „Der Mückenschwarm“ von Oliver Koletzki in den Händen hielt und sich zu einem Release auf Cocoon Records entschied, waren die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt. Die Entdeckung Koletzkis als Newcomertalent resultierte in europaweiten Auftritten in diversen angesagten Clubs und in der Gründung seines eigenen Labels „Stil vor Talent“. Mit „I am O.K.“ erscheint nun am 16. Mai 2014 sein mittlerweile fünftes Album. Back to the roots, könnte man sagen, wenn Oliver Koletzki sich mehrmals im Jahr in seinem „Heimatclub“ sehen lässt und das Braunschweiger Publikum mit seinem Sound erfreut.