
Künstler hautnah!
Wohnzimmerkonzert Enno & Onno am 01.11.2014 in Gadenstedt
Wenn man selbst eine Woche braucht, um die Emotionen, Eindrücke, Gespräche, Fragen und Antworten, Komplimente und die einzigartige Atmosphäre von diesem Abend zu verarbeiten, dann wird mit diesem Text nur halb das Ausmaß bekannt gegeben, was diesen Abend beschreibt. Wenn man selbst eine Veranstaltung macht und sich in keiner Weise selbst mit Lobgesängen ins Licht stellen möchte, aber trotzdem voller Stolz an diesem Abend war, dann wird es schwierig, über einen Abend zu schreiben, der nachhallt. Und während ich nach einer Woche Kampf in mir keine Worte für einen Artikel fand – außer pathetische – und schon fast soweit war, der lieben Stef abzusagen, die sich so viel Mühe macht, ergreift mich plötzlich der Rausch des Schreibens. Ja, wir müssen loslassen, um immer wieder neu anfangen zu können.
Text: Daniela Wedau | Fotos: Frank Tobian und Hans Trost
Genau darum kreist das Album von Enno Bunger – „Wir sind vorbei“. Er selbst verarbeitet durch autobiografisch geschriebene Stücke die Trennung einer langjährigen Beziehung und setzt sie voller Melodie, Ruhe und Kraft für jeden verständlich um. Und während sich Enno Bunger selbst fragt, was dies für Menschen sind, die sich diese tieftraurigen Lieder anhören und warum sie das tun, kann ich nur antworten: Wir wollen für einen Abend voller Emotionen weiter blicken können, durch das was das Leben mit sich bringt. Wir wollen wissen, wie wir loslassen und neu anfangen können, wenn wir geliebt haben und hier und da selbst voller Fragen sind. Enno Bunger schafft es, das nach außen zu bringen, was anderen auf der Zunge liegt. Dabei ist er authentisch, humorvoll, perfektionistisch, auf dem Boden standhaft geblieben und vollkommen das, was man als menschlich betrachten kann. Und er hat das Talent, das Menschliche in Musik und Auftritt in eins zu bringen. Er selbst wollte kein zweiter Philipp Poisel sein und als trauriger kleiner Junge stehen bleiben. So verpackt er dieses Wohnzimmerkonzert mit ironischen und aufheiternden Sprüchen, lüftet so für kurze Momente die tiefgreifende Stimmung der Melancholie, um dann mit einem ersten Tastenton wieder einzutauchen. Eintauchen in das, was glückliche Menschen auch noch ausmacht: Tiefe, Schmerz, Freundschaft, der Blick auf das uns Umgebende, loslassen, versinken und neu anfangen.
Für mich ging es los mit drei Wochen des Planens. Surreal möchte ich die Situation beschreiben! Ich musste für jemanden das Haus in Bewegung bringen, den ich nur von YouTube-Videos und ein paar Mails her kenne. So klingelt an diesem Tag irgendwann mein Handy, während schon ein Duzend meiner lieben Freunde bei mir einkehren, um den Garten für die Eröffnung von „Fire and Drums“ mit tausenden leuchtender Luftballons zu bestücken. Enno Bunger am Telefon. Ich selbst gefühlte sechzehn, noch nicht abgedroschen von zu vielen Konzerten und privaten Kontakten aus der Szene der Musiker, bin vollkommen aufgedreht und freudig darüber, dass sein Name auf meinem Display erscheint. Eine Stunde noch, dann wird der Bulli mit Enno, Onno und Dirk, dem „Mann für alles“, unseren Hof passieren. Wie genial, denke ich. Es ist nun wirklich soweit, dass in meinem neuen zu Hause gleich das erste Konzert dieser Art stattfinden wird. Während der ersten Minuten des offenherzigen In-die-Arme-nehmens, kurzen Kennenlernens und des Vorstellens des Hauses und meiner Freunde, ist sofort klar: Wir können uns nun alle entspannen, es wird ein zauberhafter Abend werden, mit gutem Essen, schöner Musik und tollen Gästen. Gegen 18 Uhr füllt sich das Haus und meine Wohnküche, die zum Backstagebereich an diesem Abend wird, mit allen weiteren Künstlern, Fotografen, den Musikern der Fire and Drums Truppe, Helfern und engsten Freunden. Das ganze Haus ist trotz seiner Größe bis in alle Ecken belebt. Draußen neigt sich der wunderschöne Sonnentag dem Abend hin und der Mond erscheint am klaren Horizont. Der beleuchtete Garten wird zum ersten Schauplatz des Geschehens.
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Fire and Drums, die sich auf dem letzten Silver Club zum ersten Mal gemeinsam zeigten, das Publikum beindruckten und jetzt dieses Wohnzimmerkonzert mit einer einzigartigen Feuershow kombiniert mit individueller Musik einleiten! Auch ich selbst komme draußen an, geselle mich zu Enno, Onno und Dirk, die bis zu diesem Zeitpunkt schon täglich Konzerte gespielt haben und hier nun in dieser Ruhe ankommen. Der Garten ist voll von Menschen und niemand kommt daran vorbei, sich atmosphärisch dahin gleiten zu lassen, diesen Ort als herzlich, offen und wunderschön anzunehmen. Enno selbst schießt die ersten Fotos und sendet sie noch augenblicklich an das ihm bekannte Musikerduo „Sarah und Julian Muldoon“ weiter. Leider waren die beiden terminlich verhindert, so dass sie nicht auch hier vor Ort spielen konnten.
Eine leichte Sehnsucht nach Freunden, Familie und den Engsten zeigt sich bei Enno in diesem Moment. Der Wunsch stellt sich ein, dieses hier teilen zu wollen. Er, an einem vollkommen fremden Ort, wird mit Herz und Offenheit durch Fire and Drums begrüßt, sichtlich beeindruckt von dem Zusammenspiel aus Feuereinlage und dem Klang einzigartiger Instrumente. Die verschiedenen Drums, Percussions, das Digderidoo, die Maultrommel und die verschiedene Gesänge in Kombination mit dem Rauschen des wirbelnden Feuers durch die Artisten Anka, Ulli und Andreas bewirken einen fast meditativen Zustand. Das holt wahrscheinlich viele ab. Man beginnt darüber zu sinnieren, was einen selbst ausmacht und wie weit der eigene Radius ist, in dem man sich zwischen „anders“ und doch gemeinsam bewegt. Das ist genau das, was dieses Haus belebt und weiter geben möchte.
Nach einem großen Applaus wird in den kuscheligen Saal gebeten. Seit Stunden erwärmt der alte Kamin den Raum. Das Licht wird gedämmt und Kerzen verbreiten ihre warme Herbststimmung. Die Besucher sind fast drückend still und sitzen voller Aufmerksamkeit in Sofas, Fensterbänken oder auf Teppichen auf dem Boden. Einige Bekannte haben es raus aufs Land geschafft, aber auch unbekannte Fans von Enno Bunger sind heute zum ersten Mal bei uns zu Besuch. Eine Stimmung von Schwere, Neugier und Vorfreude ist spürbar. Tief Luft holen, ankommen, sich überraschen lassen und sich auf einen Abend einlassen, der jedes Gesicht in Erinnerungen und zahlreichen
Biografien schwelgen lässt. Die ersten Zeilen von dem Stück „Leeres Boot“ erklingen durch Enno Bungers wunderschön eindringliche und zarte, männliche Stimme. Die Pianoklänge bewegen sich im Tastentaumel wie Wellen durch den Raum, so dass auch die hinten sitzenden Besucher versinken und sich fallen lassen. Und wie schrieb ich doch schon in der Ankündigung der Veranstaltung: „Seine Texte hauchen einem eine Gänsehaut, angefangen an den Fingerspitzen, bis hin zur Brust, einen treibenden Druck ins Herz, das nicht aufhört, schwer zu pumpen, wenn nicht die Augen verhüllt, weinen dürften, hier & da.“ Dieser Ausdruck ist in den Gesichtern zu
beobachten und ich danke von Herzen für diesen Moment der Stille. Dafür, dass so viele unterschiedliche Menschen hierher gefunden haben und dennoch alle gemeinsam dieses Wohnzimmerkonzert zu einem Moment voller Respekt, Offenheit, Humor und Dankbarkeit gemacht haben. Dank gilt meinen liebsten Freunden, meinen Mitbewohnern in diesem Haus, die mich in allem unterstützen, den vielen Künstlern, u.a. „Rosa Müller“ mit ihrer Ausstellung, den Musikern, die dazu beigetragen haben, an diesem Abend eine nahezu perfekte Veranstaltung entstehen zu lassen, den Fotografen Frank Tobian und Hans Trost, die nun im Publikum sitzen und sichtlich mit ergriffen sind. Das alles erschlägt mich in diesem Moment der ersten Töne und die Worte meiner besten Freundin: „Daani, das hast du hier alles allein geschafft. All die Menschen, schau sie dir an.“ Von Realismus fühle ich in diesem Moment jedoch nicht viel. Ich spüre nur unendlich viele pathetische Sätze in meinem Kopf. Wie soll man Stolz beschreiben, wenn einem das Wort sonst nur negativ einverleibt ist? Aber Stolz hat für mich nichts damit zu tun, sich über andere zu erheben, sondern damit, Dankbarkeit im selben Augenblick empfinden zu können, wenn man ein Teil des Ganzen wird. Denn wie es schon Stef so treffend in ihrer Ankündigung zu diesem Wohnzimmerkonzert beschrieben hat: „So wird das Wohnzimmerkonzert zu einem florierenden Ort der Begegnung und dabei wie von selbst zu einer Art Gegenbewegung einer unpersönlichen und egoistischen Konsumgesellschaft.“ Danke auch an Stef, die diese wunderbare Konzertankündigung im Musik-Tanz-Ticker geschrieben hat!
Wer nun aber denkt, dass dieses Konzert nur mit Schwermut und Ruhe zu tun hatte, der liegt falsch. Enno und Onno haben durch ihre gewählte Kombination aus Stücken, auflockernden Statements, Elektrosounds, Gitarre und Trommeln einen äußerst abwechslungsreichen Abend gestaltet. So kommt es, dass auch die von solch schwermütiger Musik eingangs noch nicht ganz überzeugten Besucher im Anschluss handsignierte LPs und CDs kaufen. Zu erwähnen bleibt an dieser Stelle noch Onno, über den ich im Vorfeld wenige Informationen finden konnte und der hier einen Song seines neuen Projektes – „Projektor“ vorstellt. Auch hier ist die Begeisterung bei den vielen Gästen spürbar. Wem Jonas David etwas sagt, weiß von welch bezaubernden Melodien und weicher Stimme ich spreche. Wir hoffen sehr, wir sehen Onno mit dieser Band bald in unserem Haus. Enno Bunger selbst stellt uns noch nach der tobenden Zugabe zwei seiner neuen beflügelnden Stücke vor. Wir freuen uns, den positiv-kritischen Enno Bunger mit seinen autobiografischen Stücken in seiner nächsten LP noch näher kennenzulernen!
Im Anschluss an diese Veranstaltung nahmen sich Enno und Onno noch einmal viel Zeit für alle Besucher und so konnte man an diesem Abend die Künstler hautnah erleben und mit ihnen ins Gespräch kommen. Ich selbst fühle mich nach diesem Konzert zwar nicht mehr wie sechzehn, aber auch nicht älter als ich bin. Aber wenn ich einen Augenblick unrealistisch sein möchte, rufe ich mich mit sechzehn in Erinnerung und stelle mir vor, wie mir Enno Bunger bei seinen emotionalen Stücken tief in die Augen schaut, den Blick hält und währenddessen singt. – Danke Enno, das machst Du wirklich fantastisch! Und in einem gefühlsergreifenden Moment einer Frau könnte das Stück zum Ende des Konzerts „Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung“ nicht besser zum Träumen und Schwelgen anregen. Doch auch die am Anfang eher skeptischen Männer waren nach diesem Zusammenspiel von guter Laune, Ironie und autobiografischer Gefühlsoffenheit begeistert.
In meiner Dankbarkeit bleibt das Stück „Wahre Freundschaft“ in wertvoller Erinnerung, welches uns Enno am nächsten Morgen am Piano begleitet vorgesungen hat. Emotionaler hätte der Abschied des Besuchs von Enno & Onno nach der Veranstaltung für uns alle hier nicht sein können. Die Zeilen dieses Stückes hallen nach. Hier ein kleiner Einblick in das, was uns begleitet und was Enno Bunger so schön umgesetzt hat:
„…Welche Aktionen,
sind wirklich wichtig?
Erfüllen die Menschen?
Und machen sie glücklich?
Weil sie schöner als faul sind?
Als Erfolg oder Geld?
Stärker als Hass?
Als dein Videospielheld?…“
Ich bin dankbar von ganzem Herzen für diese wunderschöne Veranstaltung und allen Beteiligten, die mich hier unterstützt haben, dieses Wohnzimmerkonzert als vollen Erfolg stehen lassen zu können!
Danke an Euch!
Das Motto: „Kunst braucht Brot“ bleibt weiter bestehen und nicht zuletzt geht ein großes Dankeschön an alle Besucher, die den Weg zu uns gefunden haben und durch Ihre Spende geholfen haben, so etwas möglich zu machen!