
Kann man Lärm sehen?
Am Mittwoch, den 08.01.2014, bin ich mit folgender Frage im Hinterkopf ins Nexus gestiefelt: Kann man Lärm sehen? Ob diese Frage erstens höchst philosophisch oder zweitens einfach nur unter Einfluss irgendwelcher Substanzen entstanden ist, möchte ich erstens euch überlassen, zweitens nicht beantworten. Sie war einfach da und die thesenhafte Antwort lautet vorerst: Nö. So springt der Sänger der jungen dänischen Punkcoreband Parasight von der Nexus-Bühne und brüllt in bester Hardcore-Attüde einigen Hartgesottenen aus dem Publikum mitten ins Gesicht – die Band rüpelt dazu einen Sound, der defintiv das Prädikat „Lärm – TÜV geprüft in 2014“ verdient hat…und dabei sieht der Sänger aus wie….verdammt, wie ein Vorzeige-„Hipster“ der Jetztzeit!
Text: Stefanie Krause | Fotos: Johannes Giering
Beide Arme sind von oben bis unten mit Tattoos beprickt, er trägt eine enge Röhrenjeans, Chucks (was sonst) und dazu ein Tanktop, welches seine Hautkunstwerke ganz besonders effektiv in Szene setzt. So ist das natürlich alles ganz zufällig beim lässigen Ankleiden im Tourbus entstanden, wo er seine ein bisschen zu saubere, hellblaue, mit drei Patches geschmückte Jeansweste bestimmt auf einen Bügel neben dem bedruckten Jutebeutel hängt. So nehme ich es mal in meinem Vorurteilsschädel an. Aber das absolute „Hipster“-Merkmal ist sein Bart! Wahrscheinlich ist er gerade erst Anfang 20 oder so, aber mit diesen zusätzlichen Schummeljährchen via Bartoptik punktet er bestimmt so richtig bei einigen gleichaltrigen Groupies. Kurz gesagt, er könnte in diesem Aufzug in einem bestimmten, derzeit sehr angesagten Club Braunschweigs rumstehen, in dem auffällig viele Ledersofas, Orientteppiche und ausgestopfte Tiere eine authentisch-kultige Athmosphäre zaubern sollen. Und sein Rauschebart-Pendant, welches dort rumsteht oder ein bisschen auf der Tanzfläche zuckt, steht vielleicht gar nicht auf Punkcore-Lärm, sondern auf Hard House, Trashpop oder hat einfach gar keinen Plan von Musik und mag einfach nur Tattoos und Gesichtsbehaarung.
Nicht, dass ihr jetzt denkt, ich habe für mich so eine „Dagegen“-Meinung im Gestern ausgegraben oder finde einfach eh alles blöd. Nein, ich finde das eigentlich alles ziemlich amüsant und diese „Hipster“-Diskussion ist an diesem Abend im Nexus nicht auf meinen Mist gewachsen. Doch das trifft bei mir einen wunden Punkt der vielen Fragen zu unserer heutigen „Szene-Gesellschaft“. Wie soll man da noch durchblicken? Ich wünsche mir ein Buch, welches die unterschiedlichen Arten des gemeinen Garten-, Hof- und Stadt-„Hipsters“ genau unter die Lupe nimmt und dessen gekonnte Adaptionen und Mischformen der unterschiedlichen Szenebilder der letzten 40 Jahre analysiert. Die quälendste von allen Frage ist: Bin ich auch ein „Hipster“? Weiß nicht. Wer darf hier eigentlich entscheiden, wer ein „Hipster“ ist und wer nicht? Ich werde auf jeden Fall an diesem Abend im Nexus auch verkannt und allen Ernstes gefragt: „Und wer hat dich hierher geschleppt.“ Entschuldigung, aber ich hab schon Napalm Death gehört, da hast du noch Pogo-Tanzen geübt und hattest Angst, dir eine Sicherheitsnadel ins Gesicht zu stecken – und ich bin 10 Jahre jünger als du.
Gut, ich gebe zu, ich trage ebenfalls eine Jeansweste. Die ist neu und hat trotzdem ausgefranste Säume….Aber! Sie hat vom letzten Essen auch schon einen Fleck und wenn ich möchte, kann ich noch etwas Bier dazuschütten, sie in die schmutzigste Ecke werfen, draufurinieren – oder dies anderen überlassen – mich dann stolz mit dem szenemarkierten Stück Stoff in der Passage der Innenstadt niederlassen und mir als authentische Begleitung vielleicht den Hund meiner Eltern ausleihen. Puh, Punkerehre gerettet! Oder? Spätestens wenn mein Hund anfängt zu jaulen, weil er sein Plüschdecke und sein altersgerechtes Spezialfutter vermisst, wäre die Show versaut und die Szeneblase geplatzt. Voll der Emoköter! Es ist fatal! Wie rettet man sich nur die Punkerehre? Gibt es denn in 2014 überhaupt noch etwas wie Punk? Und wie erkennt man das denn dann?
Ist doch eigentlich auch egal, denn schließlich geht es an diesem Konzertabend im Nexus in erster Linie um die Musik! Und die kracht richtig! Vor Parasight aus Kopenhagen spielen Dueker aus Braunschweig und liefern eine schweißtreibende Show ab. Zumindest ist es schweißtreibend für die Band, denn an einem Mittwoch ist es nicht so ganz einfach, die Menge zu ausgelassener Körperbetätigung anzustiften. Dennoch ist es für eine Hardcore-Punk-Konzert, welches in der Tat den Schlaftag in Braunschweig erwischt hat, erstaunlich gut besucht. Dueker macht schon länger in Braunschweig Kravall und die Band hat sich sowohl eine zugetane Fangemeinschaft, als auch einen persönlichen Fotografen mitgebracht. Woho! Seine feinen Bilder darf ich heute auch verwenden. Danke Johannes Giering! Wie man auf seinen Bilder unschwer erkennen kann, geben alle 4 Mitglieder von Dueker alles und lassen es sich bestimmt nicht einfallen nachzulassen! Sie spielen ein amtliches Brett Hardcore-Punk herunter, das aber dennoch flexibles Potential zur Mitschunkel-Melodie aufzeigt und mir ziemlich gut gefällt! Spaßiger Kontrastpunkt zum harten Geschrammel und dem gegrölten Shouting sind die fast feingeistigen Ansagen vom Sänger. Wohl betont und gewissenhaft artikuliert richtet er seine Sprüche ans Publikum und sorgt damit für gediegen, gute Laune.
Und weiter geht’s im Programm und alle kommen so langsam in die richtige Lärm-Stimmung! Nach dem ersten Gig mischen sich die Mitglieder von Dueker unter die Leute und wir witzeln darüber, wie man eine Bierflasche auch anständig „männlich“ hält….Tja, ich halte sie angeblich wie ein „Hipster“, werde ich geneckt. Pah, da sind wir wieder beim Thema der unbeanworteten „Hipster“-Fragen. Wie hält denn ein Hipster sein Bier? Ich denke immer mehr darüber nach, einen medienwissenschaftlichen Essay darüber zu verfassen. Aber für heute ist es mir doch egal, wie ich mein Bier halte! Hauptsache, es knallt! (Welcher Wochentag war nochmal? Samstag?) Das tun auch Parasight. Mit einem Knall beginnt die Band aus Dänemark sozugen mitten in einem Song und schießt ihren Sänger wie ein Pfeil auf das Publikum ab. Dieser springt wie ein Wilder von der Bühne und mir ist, als seien wir alle an diesem Wochentag ein wenig … na….zu weich für diese Showeinlage. Parasight setzten im Anschluss an Dueker aber in der Tat noch einen drauf. Beziehungsweise ziehen sie ihrem Sound eigentlich etwas ab. Melodie sind hier kaum zu verzeichnen und man beschränkt sich eben auf das Minimalste, was der in den 1990er Jahren verwurzelte Hardcore hervorgebracht hat. In puncto Lärm wird man an diesem Abend also nicht enttäuscht! das Konzert ist gut abgemischt und am Ende dürfen alle mit anständig ausgeschütteltem Trommelfell nach Hause gehen und am nächsten Arbeitstag genügend abreagiert auf die Normalwelt losgelassen werden. Außer denen, die leider die Bürde der Selbstständigkeit tragen müssen und von ein paar Bierchen mächtig in eine aus der Bahn werfende Wochenendstimmung gebracht worden sind. Da sieht man es mal wieder: es ist wirklich egal, ob man sein Bier „männlich“, oder „weiblich“, oder „punkig“, oder „poppig“ oder „hipstermäßig“ trinkt. Hauptsache man macht es richtig. Jetzt habe ich den Faden wieder verloren. Leute, wieso hat mich niemand daran erinnert, dass Heute Mittwoch ist und nicht Samstag. Und es geht mir doch nicht um stupides Saufen, sondern um philosphischen Lärm!
Fazit: Ich bin kein Hipster, obwohl ich prozentual mehr in diesem Artikel über Äußerlichkeiten und Szenegesülze getextet habe, als über die Musik. Was soll ich da schon groß sagen: Ohne große Umwege haben mir diese beiden Bands direkt in die Fresse geballert und wenn es anderes gewesen wäre, wär ich auch sauer gewesen! Manchmal kann man sich eben noch auf „alte Werte“ verlassen und absolut verlässlichen Lärm liefern definitiv die Punk- und Hardcorekonzerte im Nexus. Aber den echten Lärm und den echten Punk kann man heutzutage weder hören noch sehen. Den trägt man im Herzen und dann darf man in 2014 aussehen wie man will. Szene ist von Gestern. Musik macht trotzdem Spaß.