
Jede Bewegung sitzt auf dem Tag der Sitzgelegenheit
Exzessiv Rumgesessen wird auf dem Tag der Sitzgelegenheit im Friedrich-Wilhelm-Viertel gar nicht so sehr – zumindest nicht, als ich auf meiner Suche nach Kult-Tour gegen Nachmittag im sogenannten Kultviertel Braunschweigs ankomme. Stattdessen wird zusammen gepicknickt, gesprochen, getanzt oder musiziert. Aber bei dieser Aktion mit dem ungewöhnlichen Namen, geht es ja auch nicht um das passive Herumsitzen. Im Gegenteil, ….
Text und Fotos: Stefanie Krause
Die Gelegenheit, mich am letzten Samstag gemütlich in der Friedrich-Wilhelm-Straße auf dem roten Sofa niederzusetzen, habe ich gar nicht genutzt. Zu spannend ist die Capoeira-Aufführung der Gruppe Unicar, die auch die meisten anderen Besucher am Tag der Sitzgelegenheit von ihren Hockern, Stühlen, Sofas oder Sitzkissen reißt. Hier muss jede Bewegung sitzen, denn die kraftvollen Sprünge, Kicks und Drehungen der Capoeira-Kämpfer sollen den Körper des Gegners eben nicht treffen oder verletzen. Vielmehr versteht sich die Sportart als spielerische Kommunikation, die auf den Elementen Technik, Kampf, Tanz und Musik beruht. Zu rhythmischen Klängen verschmelzen die Bewegungen der meist zu zweit oder dritt auftretenden Sportler von Unicar zu einer harmonischen Körper-Melodie. Manchmal verfehlt ein Schlag nur um Zentimeter das Gesicht des Mitspielers und ein Raunen geht durch das Publikum.
Exzessiv Rumgesessen wird also auf dem Tag der Sitzgelegenheit im Friedrich-Wilhelm-Viertel gar nicht so sehr – zumindest nicht, als ich auf meiner Suche nach Kult-Tour gegen Nachmittag im sogenannten Kultviertel Braunschweigs ankomme. Stattdessen wird zusammen gepicknickt, gesprochen, getanzt oder musiziert. Aber bei dieser Aktion mit dem ungewöhnlichen Namen, geht es ja auch nicht um das passive Herumumsitzen. Im Gegenteil, das unkommerzielle Straßenfest will über das gemeinsame Zusammensitzen hinaus aufrütteln, aufmerksam machen und die Menschen dazu auffordern, aus dem Stadtalltag auszubrechen. Im übertragenen Sinne sollen die Bürger Braunschweigs angeregt werden, ein Stück ihrer Stadt auf besondere Art und Weise zu nutzen – sozusagen mit Kultur ‚be-setzen‘, um hier kreativ zu verweilen, anstatt unaufmerksam vorbeizueilen. Zueinander kommen, anstatt in der anonymen Masse aneinander vorbeizulaufen.
Die Aktion versteht sich dabei auch als Gegenpol zu den meist kommerziellen Veranstaltungen, die sonst in der Innenstadt stattfinden. So wird die eigentlich recht triste Friedrich-Wilhelm-Straße am Tag der Sitzgelegenheit zu einem bunten Treffpunkt. Straßenkünstler, Bands und Sportvereine zeigen ihr Können umsonst und zum Teil wirklich mitten auf der Straße. Nicht nur die Straßenbahn wird dadurch entschleunigt – viele Passanten werden neugierig und bleiben stehen, schauen oder setzen sich tatsächlich nieder, um einen Plausch mit Nachbarn oder Nicht-Nachbarn zu führen.
Auch ich komme ins Gespräch, treffe alte Bekannte und neue Gesichter und mache mich anschließend mit zwei Musikern auf den Weg zum Madamenweg. Hier haben sie auf dem Festival Kulturschaufenster 38118 ihren zweiten Auftritt an diesem Tag. Sie sind bestimmt nicht die einzigen, die heute auf mehreren Hochzeiten spielen und tanzen wollen. Dieses Wochenende macht echt alle verrückt. Entgegen kommen uns Menschen, die zum Sommerfest in den Handelsweg streben und ich biege dann doch kurz nach Hause ab, um mich ein wenig zu stärken. Später wird es auch mich zu einem Blick ins Kulturschaufenster des westlichen Ringgebiets hinausziehen. Der Tag der Sitzgelegenheit bleibt mir als ein ungezwungener und urbaner Zwischentreff in Erinnerung – entspannt aber dennoch dynamisch.
Nachtrag: Es war so klar. An einem solchen Wochenende voller kultureller Überfrachtung muss ja etwas hinten runterfallen. Daher muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nach meinem Besuch auf dem Kulturschaufenster – der offen zugegeben durch Regen und andere flüssige Freu(n)de(n) ganz unerwartet in die Länge gezogen wurde – beim Sommerfest im Handelsweg erst um 2 Uhr nachts eingetrudelt bin, um höchst enttäuscht festzustellen, dass selbstverständlich nicht nur das Kinderschminken zu diesem Zeitpunkt leider schon Geschichte war. Zum Glück ist mein Wunsch nach einer unterstützenden Kulturarmee nicht ganz unerhört geblieben. Verlass ist auf jeden Fall auf Matthias Bosenick, der meine abgewetzten Kultur-Wanderstiefel mit seinen immer frisch besohlten und aufmerksam gepflegten Kultur-Sieben-Meilen-Stiefeln ohne Frage in den Schatten stellt. Daher erdreiste ich mich an dieser Stelle einfach, auf seinen äußerst hingebungsvollen und inhaltlich umfangreichen Beitrag im Riptide-Blog hinzuweisen. Der Mann hat offenbar kaum etwas vom Sommerfest im Handelsweg verpasst und darüber hinaus von vielen Künstlern, Besuchern und Musikern O-Töne eingefangen. Lest hier.