
Hier wächst etwas.
Braunschweig an einem Novembertag, genauer gesagt dem 02.11.2014. Obwohl die Sonne scheint und ein ungewöhnlich warmes Lüftchen weht, ist das nicht unbedingt die (Jahres)Zeit, mit der wir Wachstum und erblühendes Leben verbinden. Pustekuchen! Oder sollte ich lieber Pusteblume sagen? In diesem Artikel geht es auf jeden Fall um eine ganz schön blumige Ausstellung im WerkSchauraum in der Ernst-Amme-Straße und vielleicht auch parallel um eine blumige Zukunft der Kunstszene in Braunschweig – oder zumindest um den Gedanken daran. Bei wunderbarem Sonntagswetter pflücke ich (selbstverständlich trällerend und hüpfend, höchst erfreut über die Leichtigkeit des Seins. Anm.: So bin ich halt.) eine der zahlreichen Chrysanthemen vom Balkon, die gerade erst in den letzten Tagen frisch erblüht sind, und bringe diese Wolf Menzel zu seiner Ausstellung „Von Gänseblümchen und Tausendschön“ mit.
Text und Fotos: Stefanie Krause
Mit dieser Idee stehe ich schon einmal nicht alleine da. Auf einem Tresen in dem privat organisierten Ausstellungsraum von Bildermacher Wolf Menzel – und ganz neu dabei ist Lichtbildnerin Angelika Stück – wachsen ein paar echte Gänseblümchen im Topf, beäugt von ihren künstlichen, aber dafür um so frecheren Pendants. Diese zwinkern von den Wänden des WerkSchauraums, winken mir aus antiken Rahmen zu oder scheinen ähnlich wie die zahlreichen Gäste ins Gespräch vertieft zu sein. Betrachte ich die reliefartigen Bilder und Skulpturen, entdecke ich kleine Geschichten, die mich an das alltägliche (Liebes-)Leben erinnern. Hier flirten domestizierte Topfblumen miteinander, halten Händchen,
erobern sich im Sturm, freuen sich über ihren ersten gemeinsamen Spross und werden zuweilen auch mal so richtig im Regen stehen gelassen. Es ist wie es ist – und Wolf Menzel bringt es mit „Von Gänseblümchen und Tausendschön“ einfach schön auf den Punkt. Seine Kunst-Blümchen strahlen in poppigen Farben und mit unschuldigem Comic-Lächeln. Aber um ganz so harmlose Geschichten geht es hier offenbar nicht. „Es geht um Sex“, eröffnet mir Wolf gewohnt direkt und mit einem für ihn ganz typischen schiefen Grinsen unter der Mütze. Damit erntet er bei mir erstmal einen leicht ungläubigen, ein wenig kritischen Blick, denn ich habe gerade auf einem der Bilder neben den weiß-gelben Hauptdarstellern ein geringelte Biene entdeckt, die vielmehr auf religiöse Inhalte als auf irdische Freuden zu verweisen scheint. Gottgleich schwebt das knuffige Geschöpf
am Himmel und schickt güldene Strahlen auf eine entrückte Blumengestalt hinunter, die verzückt und erwartungsvoll ihre Augen schließt. Also hier geht es wohl nicht (nur) um die Geschichte von ‚Bienchen und Blümchen‘ für Rezipienten ab 18, sondern eher um eine ironische Verniedlichung der unbefleckten Empfängnis. Oder? In der Verschränkung beider semantischen Zusammenhänge wird das kunsthistorische Motiv in meinen Augen zu einer Art Sesamstraßenmärchen für Erwachsene – oder eben anders herum. Das ist schon eine ordentliche Portion Post-(Post)-Moderne, verpackt in Wolf Menzels unverkennbarem Stil. Kindliche Naivität und spielerisches Vergnügen am ‚Kunst machen‘ treffen auf präzise Beobachtungen der Gesellschaft und eine entlarvte Kunst(geschichte). Doch auch in der ernsten Kritik erkenne ich in Wolf Menzels Kunst auch immer den Schelm, der provozieren aber im Prinzip niemandem etwas Böses möchte. Nichts entbehrt hier einer gewissen Sympathie, in diesem Fall begegnet mir diese Sympathie personifiziert als künstlerisches Gänseblümchen, und das finde ich wirklich entspannt. Daher freue ich mich ganz besonders, dass der WerkSchauraum in seinem bald fünften Jahr in den aktuell sehr spannenden Entwicklungen der Kunstszene Braunschweigs weiter an Bedeutung gewinnt. Auch an diesem Sonntag im November haben die Kunstgewächse im WerkSchauraum zahreiche Kunstfreunde aus ihren Löchern hervorgelächelt.
Darüber hinaus prüft Wolf Menzel zur Zeit die Möglichkeiten, den WerkSchauraum räumlich zu erweitern. Denn Braunschweigs Kunst braucht Platz zum Atmen, Platz für Gemeinschaftsausstellung, genügend Raum für monumentale Skulpturen und großformatige Werke und eben auch die Option, Kunst im Rahmen komplexer, unkonventionell konzeptionierter Kulturveranstaltungen zu präsentieren. Braunschweigs Kunstszene ist im Umbruch und ich möchte nur hoffen, dass Braunschweigs ‚Kulturinvolvierte‘ – ihr seht, mir fehlt hier noch das Wort, wie ich diese (vielleicht auch utopische) Gemeinschaft benennen und damit auch begreifen kann – die nötige Offenheit besitzen, um aus scheinbaren Gegensätzen ein produktives und bewegliche Ganzes zu schaffen, welches mit falsch verstandenem Konkurrenzdenken wirklich nichts mehr zu tun haben wird. Hier wächst etwas, wer wächst mit?
Von Gänseblümchen und Tausendschön
WerkSchauraum | Ernst-Amme-Straße 5 | Öffnungszeiten Dienstag u. Donnerstag von 16:00 – 18:00