
Einsamkeit und Härte sensibler Rebellen. Kleine Attentate im einRaum5-7
Eine graue, steinharte Masse umschließt ein leuchtendes Fenster. Ein Fenster zur Seele? Sie frisst an ihr. Verbogene Nägel, ein Hammer und eine Zange stecken in ihr. Sie verletzen die abweisende Haut und verformen sie zu einer martialischen Oberfläche. Nun stehe ich vor dieser kleinen nicht mehr heilen Welt. Ich blicke in einen der Objektkästen der aktuellen Ausstellung „Kleine Attentate“ von Denis Stuart Rose im einRaum5-7 im Handelsweg. Der Kasten birgt in sich die ferne Welt von Gregor Elser. Gregor Elser verübte am 8. November 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler. Er war Widerstandskämpfer, er führte den Anschlag alleine durch. Er scheiterte.
Text und Fotos: Stefanie Krause
Und Gregor Elser war Schreiner. Die Gegenstände hinter der Glasscheibe des Schaukastens deuten auf sein Leben und seine Tätigkeit hin. Doch wer war dieser Gregor Elser wirklich? Ich habe das Gefühl, die hier thematisierte Persönlichkeit offenbart und versteckt sich gleichermaßen in diesem mysteriösen Kunstkasten. Eine passbildgroße Videobild flimmert inmitten des Rahmens. Plötzlich blickt mir das schwarz-weiße Gesicht des Attentäters entgegen. Einen Moment später ist es wieder in einem diffusen Wechsel von Fotografien längst vergangener Zeiten verschwunden. Geisterhaft! Ich gehe erst einmal einen Schritt zur Seite, um die weiteren Objektkästen ähnlicher Art zu betrachten. Wie für Gregor Elser hat der Künstler auch für Tilman Riemenschneider, Jerg Ratgeb, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Max Hoelz, Erich Mühsam, die Gruppe „Weiße Rose“, Graf von Stauffenberg, Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke, Ulrike Meinhof und Wolfgang Grams jeweils einen Kunstkasten gestaltet. Zeitlich geordnet wurden sie von Denis Stuart Rose in einem ganz eigenen Präsentationskonzept innerhalb des kleinen Ausstellungsraums gruppiert. In der Mitte der Galerie ist eine kastenförmige, sargähnliche Präsentationsfläche auf Stelzen aufgebahrt. An den Seitenwänden der Konstruktion sind die stillen Schaukästen platziert: Gleichmäßig aneinandergereiht, keiner höher oder tiefer, größer oder kleiner. Sie sind auf Augenhöhe gebracht mit uns Betrachtern, doch sie grenzen sich dennoch in ihrem eigenen künstlerischen Raum von uns ab. Was will uns der 1953 in Wiesbaden geborene Braunschweiger Künstlers Denis Stuart Rose hiermit zeigen? Kleine Puppenstuben der Hölle? Ansichten auf sensible Antihelden? Ein Leben in der grauen Masse? Einen fast vergessener Mythos hinter Glas?
Und dann da! Wieder! Ein Gesicht! Ein Individuum zuckt zurück, im schwachen Licht des Videobildes ist es kaum zu erkennen. Ich verspüre den Drang, hinter diese Fassade blicken zu wollen. Woher kommt dieses Gesicht? Ein weiterer Besucher der Ausstellung macht es mir vor. Er reckt sich und streckt sich und kann mit seinen bestimmt zwei Metern Körpergröße mühelos in die oben offene Präsentationskonstruktion blicken. Ich schaffe das nicht und muss in die Knie gehen. Von unten werfe ich einen Blick in das Innenleben. Kabel, Schaltungen – doch hier finde ich wohl kaum eine Erklärung für aufwühlenden Schicksale hinter den Namen, die schwungvoll unter die Objektkästen geschrieben sind. Wie kalte Steine mit verglühenden Herzen hängen die Bilder mir gegenüber und werfen mit vergehender Zeit immer mehr Fragen auf.
In einer Karteikartenkiste in der einen Ecke der Galerie kann ich ein wenig mehr über diese Menschen erfahren. Alle haben sich in irgendeiner Form gegen die zu ihren Lebzeiten herrschenden Prinzipien aufgelehnt. Auf leicht gelblichem, scheinbar antikem Papier lese ich von geschichtsträchtigen Leben; von pazifistischen Charakterzügen; von der Gewalt ihrer Taten; ihrem Unmut gegenüber der Gesellschaft; von ihrer rebellischen Energie; ihren fatalistischen und idealistischen Beweggründen und von ganz alltäglichen, familiären und beruflichen Rahmenbedingungen ihrer Existenzen.
Ich komme nicht so weit beim Lesen, denn die Vernissage an diesem Freitag, den 11.03.2016, ist auch eine soziale Angelegenheit, in der ich mich zu meinen Mitmenschen im Hier und Jetzt verhalten möchte und muss. Doch ich will mehr wissen über diese verblichenen Gestalten, die Denis Stuart Rose in einer vielschichtigen und sowohl thematisch als auch räumlich sehr spannend konzeptionierten Ausstellung zu Kunstobjekten geformt hat. Sie wandeln durch den konkreten Raum und seit meinem Besuch der Vernissage auch durch meinen Geist.
Ich muss hier noch einmal hin. Ich möchte diese Menschen näher kennen lernen. Ich möchte sie ein wenig in mein Leben einknüpfen, ihnen einen Gedanken in meiner Welt schenken. In einer Welt, in der sich dei Vergangenheit zu wiederholen scheint, in der glimmender Rassenhass droht, zu einem lodernden Feuer zu entwickeln. In der Menschen fragliche politische Alternativen wählen und sich lieber hinter ihrer Angst verstecken, als mutig auf Veränderungen zuzugehen. Einer Welt, die ebenfalls aus den Fugen geraten ist.
Oder war und ist diese Welt eigentlich nie in Harmonie gewesen?
Ist Krieg Schicksal?
Nachtrag: Johann Georg Elser wurde am 4. Januar 1903 in Hermaringen, Württemberg geboren und starb am 9. April 1945 im KZ Dachau, Bayern. Sein sorgfältig vorbereitetes und am 8. November 1939 bei einer Kundgebung im Münchner Bürgerbräukeller ausgeführtes Attentat auf Adolf Hitler und nahezu die gesamte NS- Führungsspitze scheiterte. Hitler hatte viel kürzer als geplant gesprochen, da der geplanter Rückflug nach Berlin ausgefallen war und er stattdessen auf einen Zug ausweichen musste, der früher als der Flug ging. Gerade mal 13 Minuten bevor Elsers Zeitbombe punktgenau explodierte, hatte Hitler und seine Gefolgschaft das Gebäude verlassen.
INFO:
Denis Stuart Rose: „Kleine Attentate“
einRaum5-7 | Handelsweg 5-7| 38100 Braunschweig
Die Ausstellung ist bis zum 2. April 2016 mittwochs bis samstags von 17–20 Uhr geöffnet.
Über die Osterfeiertage – vom 25. bis zum 28. März – ist die Galerie geschlossen!