
Das Nexus: Eine dreißigjährige Dekade
Zehn Jahre Nexus. Erst – das ist der Gedanke, der sich sofort aufdrängt: Man kann sich ein Braunschweig ohne das Nexus überhaupt nicht vorstellen. Heute noch viel weniger, in Zeiten schließender Veranstaltungsorte und quälender Bemühungen, neue soziokulturelle Zentren zu etablieren. Als eine solche Bemühung begann das selbstverwaltete linke Kulturzentrum Nexus auch, nur mit deutlich anderen Mitteln. Davon berichtet Apfel als Stellvertreter für das große Kollektiv Menschen, denen das Nexus zu verdanken ist, am Donnerstagabend, dem Tag Null des eigentlich nur zweitägigen Festivals zum Zehnjährigen. In Wort, Bild und Film schafft er in drei Stunden vor vollem Saal ein mitreißendes und aufschlussreiches Paralleluniversum zu jenem von Braunschweigs Historienpapst Gerd Biegel.
Sowohl der Vortrag als auch Apfel starten angemessen nüchtern, beides ändert sich im Laufe des Abends nicht minder angemessen. Neun Punkte bereitete Apfel vor, ausgehend vom Blick auf Hausbesetzungen allgemein und mündend in einem filmischen Bonbon. Der Referent sitzt fast unbeleuchtet in einer Ecke und bedient Zettelwirtschaft, Laptop und Bierglas; die Leinwand für die Projektionen nimmt den Hauptteil des Augenmerks ein, damit der Relevanz des Ohrenmerks gleichgestellt.
Apfels Ausführungen sind für alle spannend, für die Dabeigewesenen ebenso für die, die dafür zu jung waren, zu weit weg wohnten oder die schlichtweg nicht in der Szene waren. Für die Hausbesetzerszene in Braunschweig führt er vier markante Immobilien auf: Wolfenbütteler Straße/Böcklerstraße, Magnitorwall, Eisenbütteler Straße und eben Frankfurter Straße, das heutige Nexus. Gründe für die Hausbesetzungen waren Wohnungsknappheiten; die Besetzer planten Kultur- und Wohn-Projekte als Alternative zu Prestigeobjekten und wollten diese bei der Stadtverwaltung durchbringen.
Vor 31 Jahren, so lässt uns Apfel wissen, war er als Teenager-Punk involviert. Damals wie heute war er Rebell, aber auch verantwortungsbewusst: Ignorierte er gleichzeitig die Bestimmungen des Hausbesetzerplenums, indem er sich ohne dessen Zustimmung in der Böcklerstraße mit einem Freund ein WG-Zimmer einrichtete, verpasste er andererseits als Fastvolljähriger entscheidende Entwicklungen, weil er auf seine minderjährige Schwester aufpasste. Dafür bekommt er vom Publikum anerkennendes Lachen.
Im Zentrum der Schilderungen stehen nicht nur die Lebensgewohnheiten der Punks, sondern insbesondere die Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit. Bei seiner Berichterstattung bedient sich Apfel angemessenerweise des Fachjargons: Er spricht von Bullen, Faschos, Anarchos, Inis. Zermürbend waren für die Besetzer laut Apfel stets die Gegenwinde aus der Verwaltung: Meistens in Nacht-und-Nebel-Aktionen ließen die Stadtoberen die besetzten Häuser in Abwesenheit der Besetzer abreißen. Dabei offenbart er fundierte Kenntnisse in Sachen Finanzen, Politik und Verwaltungsvorgänge. Und seinen Unmut gegenüber den leeren Versprechungen von oben: Zwar kam es immer wieder zu Gesprächen zwischen Amt und Aktiven – schon fast süß sind die Fotos aus den 80ern, als eine Delegation Punks im Rathaus von schlipstragenden Politikern begrüßt wird –, doch führen die meistens lediglich zu Hinhaltungen.
Die Idee fürs Nexus wurde, so der Referent, bereits 1988 geboren, der Verein zur Förderung unabhängiger Kultur (VFUK) begann seine Arbeit. Anfang der 90er besetzten Aktive die früheren Luther-Werke, dem heutigen Nexus. Dieses Mal war alles anders: Die Besetzer ließen sich nicht vertreiben, begannen mit Sanierungsarbeiten, organisierten im benachbarten Jugendzentrum Drachenflug und an anderen Orten Benefizkonzerte mit Bands, die teilweise noch heute treue Freunde der Einrichtung sind, und setzten sich sogar gegen windige Bonzen durch. 1999 rang der VFUK der Verwaltung schließlich mühsam den Nutzungsvertrag über 30 Jahre ab. Verabschieden mussten sich die Initiatoren indes aus rechtlichen Gründen von der Idee eines Wohn- und Kulturprojektes. 2002 eröffnete zunächst das Café – und 2005 das Nexus.
Dort sitzt Apfel nun und legt allmählich die Rolle des fachlich kompetenten Berichterstatters ab und wird zusehends er selbst, wie man ihn kennt und ebenfalls schätzt. Das schlägt sich auch in seinem Vokabular nieder, in dem er zunehmend klarere Worte für Leute findet, die ihre zumeist monetären Interessen gegen die der Bevölkerung durchsetzen wollten. Sofern er noch Worte findet und ihm nicht seine liquid beeinflusste Entspannung einen sympathischen Knoten in die Zunge macht.
Das angekündigte Schlussbonbon ist ein Film von einer Aktion aus dem Jahr 1997, als die Politik trotz vorheriger Zusagen plötzlich die Luther-Werke einem Investor zuschanzen wollte, der dort einen Parkplatz plante: Der VFUK organisierte eine „Bonzen-Parade“ durch die Innenstadt. Ein halbes Dutzend Arbeiter im Blaumann zog einen weißen Mercedes. Dessen Fahrer postulierte den Niedergang des Einkommens, wenn sich die Jugend nicht mehr dem Kommerz hinwandte, sondern eigene Projekte verwirklichte. Dem Gespann folgten Personen in Businesskleidung, die auf Schildern „Mehr Abrisse“ und „Kaufen, kaufen, kaufen“ forderten. Großartig!
Was also als Punkprotest startete, wandelte sich zu einer Erfolgsgeschichte. Das Nexus ist heute ein etabliertes Kulturzentrum für Konzerte, Treffen politischer Gruppen, Workshops, Vorträge, Volksküche, Partys und vieles mehr. Zum Ende der Mammutshow sieht man Apfel entspannen und hört die Besucher diskutieren: Wer hat was wie selbst erlebt? Wer hat wen in den alten Filmen und auf den Fotos wiedererkannt?
Der Vortrag war eine wichtige Ergänzung zur Braunschweiger Stadtgeschichte. Er zeigte die Bedürfnisse der Bevölkerung und die Kräfte der Obrigkeiten, die nicht vereinbar waren, und offenbarte damit trotz der Nexus-Erfolge, wie sehr dieser Umstand in vielen Bereichen noch heute gilt. Auch heute gibt es Initiativen, die den Wunsch nach mehr freier Kultur und den Räumen dafür im Gespräch mit der Politik umsetzen wollen – sie gehen andere Wege, die gottlob ebenfalls zu Erfolgen führen; Hausbesetzungen sind nicht das Mittel der Zeit. Das Nexus zeigt, dass viele vermeintlich schwärmerische Ideen tatsächlich realisierbar sind. Ein guter Grund, das zu feiern.
Weiter geht es heute und morgen:
Im Anschluss: PLEASURE PARK (ca. ab 0 Uhr, der Eintritt hierfür ist frei). HIER geht es zur Veranstaltung bei Facebook.