
Damals und heute: Tanzende Kadaver. Lass die Hölle brennen! Teil 1
20 Jahre zwischen Leichenteilen und Liebeskummer: Ein schöner Anlass, sich mit den Tanzenden Kadavern zu befassen. Auch wenn Bandchef und einzige Konstante Wolf Kadaver den 2009 unterbrochenen Zeitstrahl erst vor einem Jahr wieder aufnahm. Dann ist es eben seine anstehende Solo-LP, die zum Gespräch einlädt. Natürlich ist auch ein neues Album mit seiner Stammband geplant, aber zunächst fordert er: „Lass die Hölle brennen!“
Text: Matthias Bosenick | Fotos: Tanzende Kadaver

Wolf Kadaver 1996
Noch 2009 saßen Wolf Kadaver – der seinen Klarnamen gern aus seinen musikalischen Aktivitäten heraushält – und ich zusammen, um über das für mich überraschende Ende seiner Band Tanzende Kadaver zu sprechen. Was bin ich froh, dass er heute wieder positive Nachrichten zu berichten hat. Los geht es mit „Lass die Hölle brennen!“: Die Solo-LP soll im August in einer 200er-Auflage auf rotem Vinyl herauskommen. „Schwarz sind nur die Testpressungen“, betont Wolf. Das Album enthält Demos, die er eher für sich selbst aufnahm, höchstens noch, um sie seiner Band als Kandidaten für das gemeinsame Programm vorzuspielen. Doch da der Musiker permanent irgendwas aufnimmt, kamen über die Zeit rund 200 Lieder zusammen. Schon vor über einem Jahr suchte er sich 30 von ihnen aus, bastelte ein Cover und stand kurz davor, ein Album zu veröffentlichen – und erlitt dann einige Schicksalsschläge, die ihn davon komplett abbrachten: „Es war ein Scheißjahr.“ Jetzt kehrte wieder Ruhe ein und Wolf zu seiner Zusammenstellung zurück. Er bearbeitete sie, nahm einzelne Spuren neu auf, kürzte andere Songs, strich ganze Lieder weg – und brachte so ein Destillat von 45 Minuten zusammen, genau richtig für zwei LP-Seiten. Wolf vergleicht es so: „Es ist, wie wenn du aus Lego ein Schloss baust, und dann kommt mal ein Turm weg und ein Fenster wird breiter.“
Alle 14 Stücke nahm Wolf allein zu Hause auf, nicht im Studio. „Ich habe mir letztes Jahr ein digitales Acht-Spur-Gerät geholt“, erzählt er. Davor arbeitete er mit nur vier Spuren und fühlte sich extrem limitiert: „Damit kommst du nicht weit.“ Obwohl: „Die Beatles haben es geschafft, ‚Sergeant Pepper‘ auf vier Spuren aufzunehmen – ich frag mich, wie sie das geschafft haben.“
Heraus kamen Songs in der typischen Kadaver-Themenbreite: „’DellaMorte Dellamore‘, der Titel unseres dritten Albums, sagt alles.“ Tod und Liebe, oder auch: Mord und Geilheit, Gemetzel und Vulgarität, Sterblichkeitsbewusstsein und Herzschmerz. Los geht es etwa mit „Du kannst dich als gefickt betrachten“, gegen Ende geht es um „Vampire, Zombies, Kettensägen“. Und dazwischen nimmt Wolf Bezug auf eines der Ereignisse, das 2015 zu einem „Scheißjahr“ hat werden lassen: den Tod seiner Hündin Jamaica, der er einen eigenen Song widmet. Zwölf Jahre lang hatte Jamaica den Musiker begleitet, als Findelhund war sie seinerzeit zu ihm gelangt. Das Lied geht zu Herzen.
Musikalisch bleibt vieles den Umständen geschuldet rudimentär, dazu ertönen teilweise deutlich elektronisch klingende Beats. „Aber kein Techno“, betont Wolf. „Weil ich Techno nicht mag.“ Wichtig ist ihm auch, dass es nur ein Song dieses Albums auch ins aktuelle Kadaver-Repertoire schaffte: „Bumm Bumm Bumm Bumm“, ein Lied über Schusswaffengewalt.
Die Beatles sind ein bereits erwähnter kreativer Einfluss für Wolf. Doch gibt es für die Kadaver einen ganz anderen Dreisatz: Sisters Of Mercy, Die Ärzte und Misfits. „Meine frühere Band Psycho Tryb war der Versuch eines Sisters-Abklatsches“, gibt er unumwunden zu. Die Sisters sind bei ihm immer noch aktuell: Das Stück „Im Morgengrauen“ auf der kommenden LP erinnert musikalisch stark an die Sisters. Auch den Ärzte-Fan hört man bei Wolf deutlich heraus, das weiß er: „Ich habe viel gelernt bei denen“, sagt er. „Ich vereine Teile von Bela und Farin“, ergänzt er und betont dabei, dass man die Ärzte nicht nachmachen kann: „Daran kann man nur scheitern.“ Trotzdem covern die Kadaver die Ärzte hin und wieder. Und als er die Kadaver gründete, waren gerade die Misfits auf Tour. „Ich habe Jerry Only interviewt, eine Woche vor der Gründung“, erzählt Wolf. Ergo: „Aus dem Dreieck Sisters Of Mercy, Die Ärzte und Misfits ergeben sich die Kadaver.“
Und da er gerade das Interview mit Jerry Only erwähnt: Das filmte er für sein eigenes Video-Fanzine „Madrezid“. Vier Ausgaben gab es davon, mit Live-Aufnahmen, für deren Veröffentlichung er bei den Bands vorher um Erlaubnis bat, und eben Interviews. Auf der ersten Ausgabe enthalten waren unter anderem Wizo und Terrorgruppe, außerdem gab es ein zwanzigminütiges Ärzte-Interview, das er jedoch für nicht gelungen hält. „Ich wollte als Fan Fragen stellen, die nicht überall gestellt wurden“, erläutert Wolf seine Intention. „Plus habe ich versucht, mitlustig zu sein – das geht bei den Ärzten nicht, das ist deshalb nicht gelungen.“ Trotzdem sei es nett gewesen. „Schön geworden“ ist das Interview mit Axel von Wizo, findet Wolf: „Mit drei Fragen kannst du eine halbe Stunde füllen.“ Eigentlich hatte nach Wolfs Wunsch Farin das Interview führen sollen, doch der wollte nicht – vermutlich, weil sogar er gegen Axel nicht hätte anreden können. Axel war sogar so entspannt, dass er bei einem Stromausfall im UJZ Peine, während nebenan noch eine Band spielte, nicht als Anlass sah, das im nun stockdunklen Backstageraum laufende Interview zu unterbrechen – schließlich hatte Wolfs Kamera ja einen Akku, also zündete Axel kurzerhand ein Feuerzeug an und redete weiter. Ein Ausschnitt des Ärzte-Videos wiederum ist auf einer Terrorgruppe-DVD enthalten, als das Gespräch zwischen Wolf und den Ärzten auf Terrorgruppe kommt. Für den zweiten Teil der Fanzine-Reihe führte Wolf das besagte Interview mit Jerry Only, eine Stunde dauerte es, und auf Teil drei sind die Kadaver selbst mit drauf. „Das ist aber nicht besonders gelungen“, so Wolf: Sie interviewten sich selbst. „Völliger Blödsinn“, findet er im Nachhinein.
Durch das Fanzine lernte Wolf TV Smith von den Adverts kennen: „Den habe ich dann in London getroffen, da hatten wir die Idee, zusammen in Braunschweig zu spielen.“ Der Gig fand in der Haifischbar statt, TV Smith schlief bei Wolf auf dem Sofa. Auch mit dieser Aktion war Wolf nicht ganz glücklich: „Da ist einiges schiefgelaufen.“ Trotzdem war das gemeinsame Konzert natürlich ein erinnernswürdiger Moment in Wolfs Karriere.
Und die ist noch lange nicht am Ende. Erst kommt das Solo-Album, dann geht es mit einigen Kadaver-Konzerten weiter. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja auch von der reaktivierten Stammband bald wieder neue Musik zu erwerben.
Fortsetzung mit einer Historie und Fotos von früher folgt…