
Damals und heute: Murder At The Registry. Das böse G-Wort
Murder At The Registry sind wieder da! Auf das Jahr 1988 datiert die Gründung der Braunschweiger (Gothic-)Rock-Band zurück, die in der zugehörigen Szene einige Hits landete, darunter „Cupido“. Nach dem schockierenden Tod von Keyboarderin Andrea 2007 legte Bandchef Tom Stach das Projekt zunächst auf Eis. Seit 2012 ist er mit neuen Mitstreitern wieder aktiv, veröffentlichte in Eigenregie das noch mit Andrea unvollendete Album „Notsorry“ und bereitet sich aktuell auf einen Gig in Leipzig vor, der heute stattfindet – beim Gothic Pogo Festival. Ein guter Anlass, einmal nachzuhaken: Was passiert bei Murder At The Registry eigentlich heute? Und wie sahen die Anfänge aus? Kult-Tour | Der Stadtblog war zu Gast im Proberaum.
Text: Matthias Bosenick | Fotos: MATR Archiv
Am heutigen Pfingstfreitag spielen MATR im Werk 2. „Unser Repertoire wissen wir noch nicht“, sagt Gitarrist Ralf bei den Proben nur wenige Wochen vor dem Gig. „Aber wir haben einen guten Slot, um halb elf“, ergänzt Bassist Martin. Zwar in Leipzig, aber nicht auf dem renommierten WGT, dem Wave Gotik Treffen: „Damit hat Tom uns geködert: Wir spielen in Leipzig“, lacht Ralf, stellt aber klar: „Das Gothic Pogo Festival ist etabliert und das Werk 2 ist ein guter Laden.“ Headliner sind übrigens die jüngst wiedervereinigten 1919. So richtig klar sind die Bedingungen für den Auftritt auch noch nicht, etwa die Ausstattung der Backline vor Ort. „Wir brauchen drei Toms“, bestimmt der Bandchef. Martin wirft sofort ein: „Achtung, Kalauer: Einen Tom bringen wir mit!“ Schlagzeuger Krusty lacht: „Einen Standtom.“ Tom grinst: „Heute eher ein Hängetom.“
Murder At The Registry in der jetzigen Besetzung Tom (Gesang, Keyboard, E-Bow, Gitarre), Krusty (Schlagzeug), Martin (Bass) und Ralf (Gitarre) proben im Schimmelhof in einem Raum, den sie sich mit der Band Kaltmiete teilen. Jenes Trio veröffentlichte kürzlich erst sein zweites Album „Auf Wiedervorlage“, satte 18 Jahre nach dem Debüt „300 DM“. Da Tom bei dem neuen Album Aufnahmeleiter war und vor Jahren unter anderem mit Heinrich von Kaltmiete in einer WG gewohnt hatte, kam der Musikeraustausch recht unkompliziert zustande: Er rekrutierte die Kaltmieter Krusty und Martin kurzerhand für seine gegenwärtige MATR-Inkarnation. Das war 2012, als Peter Glantz im LOT in Braunschweig ein Festival mit fünf Bands organisierte. Als Gitarristen hatte Tom dafür noch Björn im Boot, mit dem er schon 2009 beim Tribut-Konzert an Die Trottelkacker im Wolfsburger Kulturzentrum Hallenbad aufgetreten war. „Doch Björn ist nach Oldenburg gegangen“, berichtet Tom. „Da war ich am suchen.“ Dank einiger Kontakte zu Musikern in Berlin geriet er an Ralf, der wiederum hauptamtlich bei Frank The Baptist spielt, die ebenfalls jüngst ein neues Album herausbrachten, „As The Camp Burns“.
Seinen Einstieg bei MATR hatte Ralf praktischerweise im September 2014, als sie im Vorprogramm von Toms Helden The Chameleons spielten, die seit einiger Zeit als Chameleons Vox unterwegs sind. „Da hab ich gesagt: Why not, versuchen wir’s mal“, erzählt Ralf. „Und es hat gefunkt.“ Krusty nickt energisch: „Allerdings.“ Tom lobt: „Er kam hier her und konnte alles.“ Martin bestätigt: „Es hat von Anfang an sehr gut funktioniert.“ Allein dieser beinahe einmündige Bestätigungsreigen zeigt, wie sehr das Quartett harmoniert. Keine Probepause findet ohne Herumalbern auf einer Wellenlänge statt, trotz der „Verständigungsprobleme“, die irgendjemand in die Runde wirft, weil Ralf zwar hörbar, aber trotzdem leicht verständlich berlinert.
Als Tom auf Peter Glantz‘ Einladung hin MATR 2012 reformierte, sei es zunächst die Idee gewesen, das Album „Notsorry“ einmal live zu präsentieren. „Das haben Andrea und ich 2005 angefangen, unmittelbar nach ‚Filed’“, so Tom. Jenes „Filed ’93-’03“ ist das bis dato einzige offizielle Album von MATR, es sammelt Samplerbeiträge und in Eigenregie veröffentlichte EPs. „Davon, nur Stücke von ‚Notsorry‘ zu spielen, sind wir inzwischen aber ein bisschen abgewichen und haben ein paar alte Crowdpleaser dazugenommen“, sagt Tom. Dazu gehören „Cupido“, „The Stolen Photograph“ und „Epiwaltz“, alle zu finden auf „Filed“. Ralf besteht auf „Cupido“, denn er weiß: „Das wird immer noch in den Clubs gespielt.“
Den Synthesizer wollen MATR dieses Mal nicht mit nach Leipzig nehmen, Tom spielt die jeweiligen Flächensounds mit der Gitarre, und alle sind sich einig, dass das perfekt klingt. „Ich habe das Instrumentarium von Andrea übernommen“, sagt Tom, der die Band als Bassist gestartet hatte. „Ich erzeuge die Flächen mit E-Bow und Synthesizer und habe den Bass abgegeben.“
Wie es mit der Band nach Leipzig weitergeht: „Keine Ahnung“, sagen alle. „Bisher haben wir das von Gig zu Gig entschieden“, so Ralf. „Wenn es Anfragen gibt, sind wir da und üben – wir sind am Start.“ Aktuell habe das Quartett ein Repertoire von 15 Songs, so Krusty: „Das können wir mischen.“ Neue Stücke sind noch nicht vorhanden, sagt er, aber: „Wir haben gerade Urlaubszeit mit Kaltmiete, da können wir den Raum nutzen für neue Songs.“ Tom ist angefixt: „Bock hätte ich auf jeden Fall, es liegt bei mir zu Hause so viel unbearbeitetes Material herum, Fragmente.“ Krusty betont: „Wenn wir das machen, wird es aber nicht mehr so original Murder At The Registry sein.“ Tom nickt: „Ich bin offen für alles.“ Krusty grinst: „Dann kommt der Tocotronic-System-Of-A-Down-Einschlag dazu.“
Murder At The Registry ist nicht für alle die einzige Spielwiese. Ralf ist außer bei Frank The Baptist noch in einer weiteren Band aktiv: „Wires & Lights, die ist vor zwei Jahren aus Passion Play entstanden.“ Krusty und Martin spielen nur noch bei Kaltmiete: „Das reicht“, sagt Krusty. Und das, obwohl noch nicht mal ein Release-Gig für das neue Album angesetzt ist. Tom hatte einst das Nebenprojekt Pictures Of Agony: „Mit Drumcomputer, wir waren Sisters-Epigonen.“ Das war Mitte der 90er. Tom stieß dazu, weil der Band der Bassist abhanden gekommen war. Nach einem MATR-Konzert sprachen sie Tom an, er sei der Richtige für sie. „Ich hatte nicht viel zu tun gerade, das kam mir zupass“, sagt der lakonisch. Er hatte sich außerdem einen Drumcomputer und ein Achtspurgerät zugelegt: „Da ging das zackzack.“ Außer dem Tape „On A Burning Ground“ veröffentlichte die Band mit Tom eine Split-EP mit Cadra Ash und Salt Of Anguish auf dem Label Alice In Wonderland. In diesem Zusammenhang kam es zu einer kleinen Drei-Städte-Tour, im Forellenhof Salzgitter, im Ruhrgebiet und in Süddeutschland: „Das war ein lustiger vernetzender Effekt.“ Die Zusammenarbeit verlief sich allerdings nach einiger Zeit. Für Tom gibt es noch ein weiteres Projekt, eher ein Etikett, unter dem er seine Demos aufnimmt: „Marvin“ nennt er dies.
Nun aber zu MATR und deren Geschichte, in die Tom später im Café Riptide Einblicke gibt. Die Anfänge von Murder At The Registry liegen im Jahr 1988: „Damals waren wir noch in Vorsfelde angesiedelt und haben oft mit Grass Harp gespielt, zum Beispiel in Velstove.“ Beide Bands einte „der psychedelische Einschlag“, wie Tom findet. Kurioser Auslöser für die Bandgründung von MATR war übrigens, dass Drummer Stefan ein Schlagzeug bei einer Tombola gewann. Zu solchen Dorfgigs seien seinerzeit haufenweise Leute gepilgert. Den ersten Auftritt hatten die Vorsfelder in Kästorf an der Bockwindmühle bei den Pfadfindern, den zweiten in Wendschott in der Gaststätte „Zur Erholung“. Tom erzählt grinsend: „Der Saal war abgeteilt mit einer Zickzack-Schiebetür. Dahinter war alles voller Leute, die an der Tür rüttelten und riefen: ‚Mur-Der, Mur-Der, …‘. Als der Veranstalter die Tür geöffnet hat, stürmten die Leute rein – wir haben und schon beim zweiten Mal gefühlt wie: Ich bin ein Star.“ Im heimischen Vorsfelde spielten MATR nur einmal in einem heute nicht mehr existierenden Jugendzentrum am Drömlingstadion. Das war in der von Tom so genannten Phase II der Band, mit Martin Krause. Auch über Wolfsburg und Braunschweig hinaus waren MATR unterwegs, dreimal sogar im Ausland, in Leeds, Rom und im Österreichischen Dornbirn, dort beim Judgement Day Festival. Das war alles in der Phase mit Andrea und Carsten. Und: „Es war lustig“, berichtet Tom. Die Musiker brachten ihre Gitarrenkoffer ins Flugzeug, wurden am Bestimmungsort am Flughafen abgeholt und ins Hotel gefahren, „wir konnten den full service genießen“, so Tom, und obwohl es keine Gage gab: „Es war cool.“
Um solche Engagements bemühte sich die Band selten selbst: „Wir wurden gefragt“, sagt Tom. „Wir haben uns kaum aktiv gekümmert, sondern immer nur die Nachfrage befriedigt.“ Es sei schwer genug gewesen, immer alle Bandmitglieder für einen Auftritt zusammenzubekommen. Auslöser für Anfragen waren meistens Berichte in Fanzines, wie „Black Book“ aus Berlin oder „Hex Files“, sowie die Anfänge des Internets: „Wir hatten von Anfang an eine Homepage.“ Auch das Bandprofil auf der Internetplattform mp3.com, einem immer noch existenten Vorläufer von Myspace, verschaffte der Band viel Aufmerksamkeit.
Eine Zäsur gab es im Jahr 2000, als die Band wegen eines ins
Wasser gefallenen WGTs fast auseinanderbrach. Boris, heute Schlagzeuger bei Maxx Reebo, und Melanie stiegen aus, nur Gitarrist Martin Krause blieb bei Tom. „Wir haben mit E-Drums Demos aufgenommen“, erzählt Tom. Dann kamen Carsten und Andrea dazu. In der Besetzung blieben MATR bis zu Andreas Tod zusammen. „Krause ist dann nach Norwegen ausgewandert“, so Tom. „Er ist dort Musiklehrer und glücklich.“
Die vorerst letzten Braunschweiger Konzerte gab die Band 2003 im B58 beim Gothic: The Gathering Festival, mit Pictures Of Agony, Cadra Ash, New Days Delay und Zadera, sowie im Jahr darauf ebenfalls im B58 bei der zweiten Outsider-Party von DJ Olli Cyberpagan. Das letzte Konzert vor dem Aus fand 2005 in Magdeburg statt.
Tom wehrt sich übrigens gegen das „böse G-Wort“, wie er die Bezeichnung Gothic Rock nennt. So sei dies für uns eben eine grobe Kategorisierung, eine Erstbezeichnung, eine Orientierungshilfe. Wie beim klassischen Gothic Rock der ersten Generation, zu der MATR indes nicht mehr gehören, waren für Tom auch die 70er der größte Einfluss: „Alan Parsons Project, ‚Tales Of Mystery‘, das war die erste Platte, die mich so richtig geflasht hatte.“ Toms Schwester hörte die Bay City Rollers, denen die Bravo damals eine Konkurrenz mit The Sweet andichtete, und Tom gesteht heute: „Ich war insgeheim für The Sweet, den Glam-Kram.“ Auch der war für den ersten Gothic Rock ein erklärtes Vorbild. Für Tom außerdem wichtig waren „Crime Of The Century“ von Supertramp sowie der Song „Airport“ von The Motors: „Der hat die Dramatik und den Pathos von Gothic vorweggenommen.“ Das und „diese DIY-Rohheit des frühen NDW“ führten zwangsläufig zu so etwas wie dem Gothic Rock, findet Tom: „Das war logisch.“
Der DIY-Aspekt findet sich auch in der Discographie von MATR wieder, die außer bei „Filed: ’93-’03“ ausschließlich aus Tapes und selbstgebrannten CDs besteht. Mit einem unerwarteten Effekt: „Mit dem Verkauf von Selbstgebrannten auf Konzerten hatten wir mehr Geld in der Bandkasse als mit ‚Filed‘, obwohl wir damit mehr Menschen erreicht haben.“ Bruno Kramm von Das Ich masterte seinerzeit die gesammelten Tracks auf „Filed“: „Das hat er so hingekriegt, dass es wie aus einem Guss klingt – da ziehe ich meinen Hut vor.“ Kramm masterte auch die neue Kaltmiete-CD, mal so nebenbei; da schließen sich Kreise. Übrigens sieht Tom die vereinzelten Sampler-Beiträge als Äquivalent zu Single-Veröffentlichungen. Und er müht sich, die alten Tapes und EPs zu digitalisieren, jedoch noch ohne Pläne für das Material: „Ich könnte eine Zehnerbox brennen und sie auf Konzerten verkaufen oder an Interessierte schicken.“ Auch ist noch offen, ob es „Notsorry“ auch als offizielles Album geben wird: „Die Gespräche laufen, keine Ahnung.“
Wer weiß, was mit Murder At The Registry nach dem heutigen Auftritt passiert. Es schreit nach mehr, so dynamisch, vielseitig und hungrig, wie die Band im Proberaum schon spielte.
Gothic Pogo Festival | Freitag, 22.05.2015 | Leipzig Werk 2 Halle A: The Creeping Terrors (UK), BA 13 (FR), Los Carniceros del Norte (ESP), Murder at the Registry (GER), 1919 (UK)
Bandbesetzungen:
1988 bis 1990: anonym – Gitarre, Stefan Erhorn – Drums, Dirk Baabe – Gitarre, Thomas Stach – Vocals, Bass.
1991 bis 1996: anonym – Gitarre, Stefan Erhorn – Drums, Martin Krause – Gitarre, Thomas Stach – Vocals, Bass.
1997 bis 1999: Stefan Erhorn – Drums, Martin Krause – Gitarre, Melanie Wypior – Synths,
Thomas Stach – Vocals, Bass.
2000 bis 2001: Boris Koch – Drums, Martin Krause – Gitarre, Melanie Wypior – Synths, Thomas Stach – Vocals, Bass.
2002 bis 2006: Andrea Diedrich – Synths, Carsten Koloc – Drums, Martin Krause – Gitarre, Thomas Stach – Vocals, Bass.
Ab 2012: Björn Koch – Gitarre (nur 2012), Ralf Hünefeld – Gitarre (ab 2014), Krusty Germer – Drums, Martin Görlich – Bass, Thomas Stach – Vocals, Gitarre, Synths.
Discographie (Auswahl):
– „Murder At The Registry“, Tape, 1989
– „Soaked To The Skin“, Tape, 1991
– „Brainsongs“, Tape, 1992
– Zwei Songs für den Braunschweig-Sampler „Wear Your Own Face“, 1993
– „Always On The Brink“, Tape, später auch CDr, 1994
– Song „Pump“ für „Hex Files“-Sampler, 1997
– Song „Das Lied der Schwermuth“ für unveröffentlichte Nietzsche-Compilation der VW-Soundfoundation, 1998
– „Blessed & Cursed EP“, CDr, 1999
– „Stolen Photograph“, Mini-CDr, 2000
– Song „The Creatures Are Having Fun With The Hollywood Dreamblaster“ für „Starvox“-Compilation, 2002
– „Black Breakfast EP“, CDr, 2002
– „Filed: ’93-’03“, CD, 2003
– Song „The Worst Date“ für „Darkness Before Dawn 3“-Compilation, 2011
– „Notsorry“, CDr, 2015