
Damals und heute: Die ganze Geschichte über Herr Tegtmeyer
Zehn Jahre lang war das „Herr Tegtmeyer“ in der Leopoldstraße, Ecke Wallstraße, die kleine punkmetallige Alternative im Braunschweiger Nachtleben. Jetzt kehrt die Nachtleben-Instanz nach Braunschweig zurück: Das „Herr Tegtmeyer“ gibt es bald wieder in der Kreuzstraße 117, und zwar als veganes Restaurant mit Bonus, und zur Eröffnung feiert es am Samstag, 30. Mai, ab 20 Uhr gleich mal das elfjährige Bestehen. Bis zum Sommer 2014 existierte das alte „Herr Tegmeyer“, als Betreiber und Namensgeber Timo Tegtmeyer (40) für sich entschied, vom Nachtleben an sich genug zu haben, und es gemeinsam mit seiner Freundin Svenja Winkelmann (34) mit dem „Landgasthof Krökel“ in Destedt am Elm versuchte. Bei einem Versuch blieb es jedoch – Kult-Tour | Der Stadtblog wirft einen Blick auf den gastronomischen Werdegang und die aktuellen Pläne von Timo Tegtmeyer.
Text: Matthias Bosenick | Fotos: Matthias Bosenick (vom aktuellen Herr Tegtmeier) und Svenja Winkelmann (aus dem Herr Tegtmeier-Archiv)
Das neue „Herr Tegtmeyer“ wird ganz anders als das alte, das derweil in der „Klaue“ in gewisser Weise weiterlebt: Timo plant in dem früheren mexikanischen Restaurant eine vegane Bar, ein veganes Restaurant mit Party- und Konzerträumen im Keller – und einer Kegelbahn. „Das wird Braunschweigs erste vegane Bar, in der Veganer auch abends Essen gehen können“, stellt er fest, denn die meisten Einrichtungen, die auch vegane Speisen anbieten, tun dies laut Timo zumeist nur bis 18 Uhr. Auch Cocktails und andere Getränke sollen vegan sein: „Zum Beispiel der White Russian mit Dinkelmilch, der bekommt damit eine eigene Note, anders und geil.“ Entsprechend änderte Timo das Motto vom alten „Herrn Tegtmeyer“, das da lautete: „Punkrock is not a crime“, für das neue in: „No meat is not a crime“.
Die vegane Küche lernte Timo dank Svenja kennen und lieben: Die gebürtige Braunschweigerin ist nämlich Veganerin. Und Timo schwärmt für die vegane Küche: „Es ist geil, so zu kochen, weil es geil schmeckt.“ So gebe es neue Geschmacksrichtungen zu entdecken, etwa eine Sellerie- oder Kohlrabischeibe als Schnitzel: „Das ist ein Erlebnis, eine Geschmacksexplosion im Mund.“ Doch Timo treibt weit mehr an: „Ich kann kochen, es schmeckt gut – und ich beute keine Tiere aus.“ Denn: „Das bewegt mich in meinem Alter, Umwelt- und Tierschutz sind mir wichtiger als Facebook und Co.“ Neben dem ausschließlich veganen Angebot besteht ein weiterer wesentlicher Unterschied zum früheren „Herr Tegtmeyer“ in den Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags ab 16 Uhr, „zur besten Kaffee-und-Kuchen-Zeit“, sagt Timo. Und dann bis in die Abendstunden, aber: „Ich mache nicht mehr bis 5 Uhr morgens – ich möchte selbst derjenige sein, der dann am Tresen sein Bier trinkt.“ Die obere Etage bietet den Barbereich mit angeschlossenem Chill-Raum, „dort kann man sitzen und seinen Kaffee trinken, Kaffee Latte mit Sojamilch.“ Auch ein kleiner Außenbereich gehört zum Lokal, den will Timo zumindest teilweise zugänglich machen, „ein paar Tische, zehn Plätze, für die Raucher, die hier ihrer Sucht nachgehen wollen“. Hinter der Theke befindet sich die Küche – und rechts von der Theke die Treppe in den Keller, in dem Timo und Svenja die „Spielwiese“ einrichten wollen.
Drei Räume stehen im Keller zur Verfügung, dazu die Kegelanlage mit vier Bahnen, allesamt voll funktionsfähig, „das habe ich ausprobiert“, so Timo. Der größte Raum wird „das Original-Tegtmeyer, schön rot und so“. Er will dort zwei Kickertische mit Lampen darüber aufstellen und in der Ecke eine kleine Bühne errichten, „für alles Mögliche, kleinere Auftritte, unplugged, und ein bisschen DJ ausprobieren“, sagt Timo. Dazu muss er noch die Fenster abdichten und, sobald etwas Geld zurückgeflossen ist, eine Abluftanlage installieren. Bis dahin will er sich auf Aktivitäten beschränken, die die Nachbarn nicht allzu sehr beeinträchtigen. Im zweiten Raum sei ebenfalls eine Tanzfläche denkbar, im dritten eine kleine Theke mit Kühlschrank, an der man auch Flaschenbier erwerben kann. Wichtig sei Timo, in der „Spielwiese“ wieder subkulturell zu werden. „Ich will unten wieder was machen, Lesungen, Konzerte, Partys – im Kleinen“, sagt er. Das will er nicht an die große Glocke hängen, sondern die jeweiligen Veranstaltungen denen zugänglich machen, die wissen, worum es bei der „Spielwiese“ geht und die daran auch interessiert sind.
Eine Glaswand trennt die zwei kleineren Räume von der Kegelbahn ab, einer weiteren Besonderheit im neuen „Herr Tegtmeyer“. Den oberen Bereich der Bar haben Svenja und er bereits komplett nach eigenem Geschmack umgestaltet, doch die Kegelbahn soll gestalterisch so bleiben, wie sie ist: „Im Oldschool-Charme.“ Geplant sei hier die Gründung der ersten RKL, der „Rock-Kegel-Liga Braunschweig“: „Drei Mannschaften haben wir schon.“ Am Dienstag, 2. Juni, um 16 Uhr fällt hier dann offiziell der Startschuss. Noch kann man sich das mit Blick auf die vollgestellten Räume nicht vorstellen, doch Svenja versichert: „Eigentlich müssen wir hier nur noch aufräumen, putzen und die Küche anschließen.“ Eine Webseite ist in Arbeit, Infos gibt es übergangsweise auf der alten Facebook-Seite vom „Herrn Tegtmeyer“. Timo: „Am besten: einfach vorbeikommen.“ Natürlich haben die beiden jetzt schon weitere Pläne: „Dazu später mehr.“
Dann blicken wir eben zunächst zurück. Die Gastronomie wurde Timo Tegtmeyer ganz offenbar in die Wiege gelegt (das war in Wolfenbüttel am Neujahrstag 1975), wie er erzählt: „Ich habe mich erst kürzlich wieder an eine Geschichte erinnert aus der Grundschulzeit, dritte Klasse.“ Da lebte er bereits im Gifhorner Südkreis. Seine Klasse betreute einen Stand, an dem die Kinder den Eltern Getränke ausgaben, darunter Cola. „Ein Lehrer sagte mir, dass ich das sehr geschickt mache“, berichtet Timo mit einem breiten Grinsen. Denn im Gegensatz zu den anderen schaffte er es, die Cola so ins Glas einzuschenken, dass sie nicht überschäumte. Den Start im Gastronomiegewerbe vollführte Timo dann klassisch wie im Amerikanischen Traum: als Tellerwäscher, mit 16 Jahren,
im „Grünen Jäger“ in Braunschweig. Allerdings nur zweimal. Mit 18 Jahren stieg er dann als Anhang einer Exfreundin in einem Seminarhotel ein, im „Herrenhaus Volkse“, „das war eine coole Zeit“. Er arbeitete im Service und auch sonst in vielen Bereichen. Endgültig nach Braunschweig kam Timo dann 1997: „Ich bin im Joker gelandet, ich habe klassisch als Gläsersammler angefangen.“ Im „Jolly Joker“ stand er am Bizarre Monday, einer Veranstaltung mit alternativer Musik, als Arbeitsloser irgendwo herum, als er einen vorbeieilenden Gläsersammler ansprach. Der sagte ihm, dass er auch dort anfangen könnte, er hänge ja ohnehin ewig dort herum. So kam es dann auch, bis 2006. Wie in Volkse war Timo auch im „Jolly Joker“ überall eingesetzt: „Ich habe alles gemacht, Cocktailbar, Betriebsleiter am Bizarre Monday, Stagehand, tagsüber Theken aufgefüllt, sauber gemacht.“
Aus unschönen Gründen drückte ihm Joker-Chef Peter Fricke im Jahre 2000 ein temporäres Hausverbot auf: „Wegen meines Alkoholproblems“, berichtet Timo. „Ich hatte eine Auszeit nötig.“ Als womöglich schizophren anmutende Gegenmaßnahme begann er einen Job in der „Bulldog Bar“ in der Leopoldstraße. Aber: „Ich setzte mir die Maxime: Beim Arbeiten trinke ich nicht“, sagt Timo. Und resümiert: „Das war eine der klügsten Entscheidungen in meinem Job.“ Ein halbes Jahr betrug seine Auszeit im „Jolly Joker“: „Ich habe mich lustigerweise mit meinem Job in der Bulldog Bar gefangen – das ist nicht vielen Leuten gelungen.“ Mit dem neuen Prinzip ging Timo täglich nach der Schicht im „Jolly Joker“ noch in die „Bulldog Bar“ zum Arbeiten. Und: „Zwischendurch habe ich mit Hartwig, der Cocktail-Legende aus dem Joker, private Cocktail-Jobs gemacht.“ Das waren Firmenfeiern und ähnliche Engagements.
Und dann kam die große Chance. „Irgendwann hat Gerd, der Chef der Bulldog Bar, keine Lust mehr gehabt und wollte den Laden verkaufen“, so Timo. „Da hab ich gesagt: Gerd – ich mach das.“ Das war im Februar 2004. „Und dann hab ich das Herr Tegtmeyer aufgemacht, im Mai 2004.“ Da arbeitete Timo noch parallel im „Jolly Joker“. „Die ersten zwei Jahre waren ganz schön krass“, erzählt er. „Ich habe alles mitgenommen.“ Erst 2006 stellte er fest: „Das Tegtmeyer läuft, ich höre auf im Joker.“ Und zwar an einem Abend an der Theke, mitten in der Schicht. Er ließ seinen Kollegen noch die Pause machen, dann schrieb er seine Kündigung auf den Verzehrzettel und ging. Anders als bei anderen Ehemaligen hatte Peter Fricke auch danach und trotz der eher zweifelhaften Aktion einen guten Kontakt zu Timo. Grund war dessen Zuverlässigkeit, und eine seiner Regeln als Gastronom und im Leben lautet: „Ehrlichkeit zahlt sich aus.“ Das spüren auch seine Gäste, ganz abgesehen von seinen Mitarbeitern. Den Weggang vom „Jolly Joker“ hat Timo nie bereut, sagt er. Das „Herr Tegtmeyer“ veränderte viel im Braunschweiger Nachtleben. Es war ein Hort für die Alternativen, von Punk bis Metal und darüber hinaus. Man traf sich, kickerte, kicherte, trank und feierte. Doch nach zehn Jahren war am 5. Juli 2014 Schluss: „Ich habe beschlossen, ich habe jetzt einige Jahre im Nachtleben verbracht, das war einfach nichts mehr für mich“, umreißt Timo den fürs Nachtleben so einschneidenden Schritt. Außerdem stellte er fest, dass sich das Verhalten der Gäste verändert hatte: „Das Tegtmeyer hatte einen Jugendtreff-familiären Charakter am Anfang.“ Der war später zurückgewichen.
Und zwischendurch gab es dann noch den „Roten Korsaren“ in Dibbesdorf, das frühere „Burundi Black“ und heutige „Sowjethaus“, das Timo „mit jemand anderem“ betrieb: „Das hat nicht so geklappt, das musste ich leider aufgeben.“ Er bedauert dies: „Es war vom Ansatz gut, es hätte gutgehen können.“ Zu der Zeit startete Timo auch seine kleine Karriere als Booker, mit Peter Pan Speedrock: „Das war die erste Veranstaltung, die ich selber gemacht habe, wo ich mich getraut habe, eine Band anzusprechen.“ Später ließ er auch das Duo Dÿse im „Herr Tegtmeyer“ auftreten, das hatte er zuvor in Leipzig gesehen, mit Ulme im Vorprogramm, deren Sänger mitten im Konzert aufhörte und meinte, er wolle endlich Dÿse sehen. Das Jancee Pornick Casino veranstaltete Timo gleich fünfmal, und einmal spielte er sogar bei Peter Pan Speedrock im B58 mit seiner eigenen Band im Vorprogramm, Jimmy Pelz Fistfuck USA, die es heute nicht mehr gibt. Weitere Bands, in denen Timo spielte, waren 78 Eimer und aktuell Aufbaugegner, die zurzeit offenbar zerfallen. „Und ich war kurz Gitarrist bei den Tanzenden Kadavern, im Proberaum“, sagt Timo. „Ich habe mit vielen Leuten rumgejammt, die Gitarre zur Hand genommen – momentan habe ich dafür keine Zeit mehr.“
Das Aus für das „Herr Tegtmeyer“ im Juli 2014 bedeutete kaum einen Monat später, am 23. August, die Übernahme des „Landgasthaus Krökel“ in Destedt, zusammen mit Svenja. „Ich habe Bock gehabt, in die Küche zu gehen“, berichtet Timo. Die Klassiker der fleischhaltigen Gastronomie langweilten ihn schnell, er entdeckte die vegane Küche für sich. Auf die Karte setzte er einen Burger, vegetarisch noch, und erwartete, dass der kaum dreimal pro Jahr geordert würde. Das Gegenteil war der Fall, der Burger wurde ein Renner, viele Veganer waren bei Svenja und Timo zu Gast. Da stellte Timo fest: „Es ist ganz schön geil, so zu kochen.“ Das mit dem riesigen „Landgasthof Krökel“ klappte trotzdem nicht, leider. Timos diplomatischer Kommentar: „Ich habe gelernt, dass ich verstehe, warum die Dörfer aussterben.“
Deshalb lebt er seine Veganer-Koch-Neigung jetzt wieder in Braunschweig aus, unter dem neuen-alten Banner „Herr Tegtmeyer“. Er betont: „Es geht mir nicht ums Geldverdienen, sondern um Arbeiten mit Spaß.“ Und den merkt man ihm an.
Die ersten Termine im Herr Tegtmeyer | Kreuzstraße 117:
– Samstag, 30. Mai, ab 20 Uhr: Elf Jahre „Herr Tegtmeyer“
– Dienstag, 2. Juni, 16 Uhr: Start regulärer Betrieb