
Containerliebe – In der Artbox geht’s zur Sache
Jetzt mal raus mit der Sprache! Wer hatte schon einmal Sex in einem Container? Ich schon – ich hab’s ganz gewagt vorgelesen bekommen! The_climbing_rose las vor voller Box ihre Kurzgeschichten über das Thema aller Themen! In Braunschweigs wildem Westen, wie passend, da steht die Artbox in der Blumenstraße – ein Ort wie geschaffen für eine Lesung der ganz anderen Art. Heiß wurde es – und auch ein bisschen eng.
Test und Fotos: Stefanie Krause
Nur wenige Hocker finden Platz in der Artbox und meine Begleiterin und ich können uns glücklich schätzen, denn es sind gerade noch zwei schicksalhafte Plätze für uns frei. Als wir dazustoßen, ist das Spektakel schon im vollen Gange. Die kleine Gesellschaft sitzt eng zusammen und ich bin froh, dass man freundlich-frivol herumalbert. Denn ein bisschen aufgeregt bin ich schon, schließlich ist es heute mein erstes Mal. Nie zuvor war ich bei einer Lesung von the_climbing_rose dabei und weiß nicht, was mich erwartet. Ein Gläschen Sekt soll die Aufregung etwas besänftigen, also wird mir mit bedeutungsvollem Schmunzeln ein Becherchen Sprudelglück herübergereicht. Und dann geht es auch schon los! Die Frau in Schwarz beginnt mit schmeichelnder Stimme, eine erotische Geschichte vorzulesen und drängt die Gäste sanft dazu, die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Ich muss schlucken, da geht es wirklich zur Sache! Die Vorleserin mit dem mysteriösen Künstlernamen versteht es, Eindeutiges klar zu machen, ohne jedoch zu direkt zu werden. Es ist, als lege sie um den Körper ihrer Geschichten eine luftig-locker geschlungene Satinschleife. Doch stetig droht zwischen den Zeilen das Versprechen, den Knoten auch mal richtig fest zuzuziehen. Dieses rosa Romantikpäckchen mit düsterem Inhalt drückt sie ihren Zuhören ungeniert in die Hand. Wie gehen wohl meine Boxennachbarn mit diesem verbalen Angebot um, frage ich mich. Manche haben die Augen genießerisch geschlossen oder richten den Blick versunken gen Boden. Andere hören gespannt zu und blicken offensiv den fordernden Fantasien von the_climbing_rose entgegen. Ich meine, in manchem Gesicht eine leichte Schamesröte zu entdecken und hier und da zuckt ein wissender Mundwinkel. Obwohl keiner die Gedanken des anderen lesen kann, bilden wir auf gewisse Weise eine Einheit. Spaziergänger, die draußen ihren Hund ausführen und im Vorüberschlendern einen neugierigen Blick in das große Fenster der Artbox werfen, sind definitiv Außen vor. Ich bin erleichtert, dass ich gekommen bin! Das ist wirklich großes Kino – aber in der hintersten Sitzreihe – nicht nur Knutschen inbegriffen!
Das alles serviert the_climbing_rose uns in einer Box, die mir vorher noch nie so richtig aufgefallen ist. Bei Ebay hat Sören Schossig, Architekt und Künstler mit Hang zu ausgefallenen Ideen, diesen Container ersteigert und als Veranstaltungsort für Kunstaktionen prompt vor seine Haustür gestellt. Man könnte die paar Quadratmeter Asphalt der Blumenstraße, die zu seinem Grundstück gehören, kaum besser nutzen! Stolz zeigt er mir, wo einige Sprayer des Viertels bereits ihre Spuren hinterlassen haben. Jetzt fehlt nur noch das Dreieck, welches seit einiger Zeit von fast jeder Hauswand im westlichen Ringgebiet lächelt. Die Außenhaut des Containers steht offen für Künstler, die zur Gestaltung der Artbox beitragen möchten, Sören sucht immer und besonders zurzeit nach neuen Ideen. Dabei steht das Innere der Box offen für Aktionen, Ausstellungen und Vorführungen. Was für eine großartige und gemeinnützige Idee!
Für die Lesung von the_climbing_rose hat die Künstlerin Kathrin Nagel den Boxenraum in einen verruchten Ort verwandelt. Eine alte Federkernmatratze, die alle Hüllen fallen gelassen hat, hängt an der Wand. In ihr verbergen sich hunderte von Geschichte, säuberlich verpackt in alte Papierseiten aus Pornomagazinen. Von welchen Erlebnissen eine Matratze so erzählen könne, amüsiert sich Kathrin, das hätte sie sich gefragt und zu dieser Installation inspiriert. Genügend Antworten auf diese Frage liefert uns heute the_climbing_rose. Ihre Geschichten steigern sich zum Ende des Abends zu einem gewagten Höhepunkt, der zumindest den Miniverstärker dazu brachte, sich so richtig gehen zu lassen und gerne an den besten Stellen seinen kleinen Tod zu sterben. Das tut der Qualität dieser Lesung keinen Abbruch, nach mehreren spannenden Kurzgeschichten wechseln wir die Stellung und lassen zufrieden den Abend vor der Artbox ausklingen. „Thinking out of the box“ bekommt jetzt bei der Zigarette danach und einem zweiten Glas Sekt eine besondere Dimension. Denn so langsam schalten wir den Kopf wieder an und rekapitulieren, was wir da eben gehört haben. Erst nach einer Weile kleckern die Erkenntnisse zwischen die grauen Zellen. Ja…ja, das war keine gewöhnliche Dusche, die die Protagonisten von the_climbing_rose vorhin genommen haben. Goldig! – Wie sich die Gesichter halb amüsiert halb irritiert verziehen. Wir kichern noch ein bisschen und zollen the_climbing_rose unseren Respekt. Dieser Punkt geht an sie! Das hat jeder von uns anstandslos geschluckt und sich ganz bestimmt nicht beschwert.