
Audiowalk 2014
Es ist Freitag, 20. Juni 2014. Müslifrühstück, Kaffee am PC, und … was lese ich da? – Wiederholung des Audiowalks 2013 der Kleinen Zukunft (?) an diesem Wochende, empfiehlt Stef von www.derstadtblog.de. Ich schlage auch die BZ von heute auf (Lokalteil SZ) und lese verschlafen unter FREIZEIT- TIPPS auf Seite 13: „Kopfhörer auf und „Ab in die Mitte“ – Neugierige erwartet eine etwas andere Stadt-Tour“. – Ja, wann denn nun genau? Ein Anruf bei der WIS (Wirtschafts- und Innovations-förderung Salzgitter) bestätigt den Starttermin: 12.00 Uhr!
Ein Gastbeitrag von Siegfried Krause | Fotos: Siegfried Krause
Jetzt aber fix: Ich schnappe meine Kamera und düse los Richtung SZ-Lebenstedt. Unweigerlich kommt mir Peter Fox (Haus am See) in den Sinn: „Hier bin ich gebor’n, und laufe durch die Straßen …“, was tatsächlich bei mir zutrifft. Schnell noch vorher kurz ins Alte Dorf zum Bäcker. Brot und Brötchen gekauft (Vorrat fürs Wochenende!) und mein Auto dort abgestellt – Es sind von hier nur wenige Schritte. Am Eingang zur Fußgängerzone stehe ich vor einem kleinen Laden, an der Fensterscheibe steht in grünen Lettern fett geschrieben: „kleine zukunft“, drinnen menschelt es von Jung bis Alt; einige sitzen erwartungsvoll auf bunten, bequemen Sitzkissen, andere wuseln stehend in ihren Taschen, drängeln vor dem „Schalter“, lautes Geschnatter! – Ich schiebe mich an den „Airportschalter der Lounge“ und muss an der Kasse meinen Perso als Pfand dalassen, um als Gegenleistung einen Funkkopfhörer als Leihgabe, einen farbigen Ansteckbutton und einen verschlossenen Briefumschlag mit dem verheißungsvollen Begleittext „Was da drinnen ist, brauchst du später!“ zu empfangen – Meine Neugier wächst ins schier Überirdische!
Kopfhörer aufgesetzt, … ich lausche. – Eine geheimnisvolle, sympatische Stimme prüft den korrekten Sitz meines Kopfhörers mit einem kurzen akustischen Test (linker, rechter Kanal). Dann geht’s nach draußen auf das „Rollfeld“ in Begleitung der „traffic security“, einer freundlichen jungen Dame (offensichtlich mit Insiderwissen über die Tour), vorbei an den Schaufensterauslagen eines Reisebüros mit Angeboten zu Fernreisezielen, von denen ich bisher immer nur geträumt habe.Wir – meine „Mitreisenden“ und ich – stehen unmittelbar vor einem drehbaren Riesenglobus aus Granit. Jeder findet auf der steinernen Weltkugel im Nu das Reiseziel seiner Träume. Über die Muscheln meines Kopfhörers finden nun Fluglärm und lautes Stimmengewirr den Weg in meine Gedanken. – Ich schließe meine Augen, die Illusion ist perfekt! Ich erkenne ein Schild mit der Aufschrift „Gate 1“: Wir sind auf dem richtigen Weg. Zur Begrüßung hören wir die Stimme des Flugkapitäns und ein allseits bekanntes „Fasten your seatbelts, we are ready for take off“. Wir starten und heben ab. Der Himmel reißt auf. Die Wolken fliegen und die Sonne bricht durch. Unser erster „Zwischenstopp“ dieser virtuellen, utopischen Flugreise bringt uns zum Rathausvorplatz, wo wir die Gelegenheit nutzen, unsere benachbarten „Mitreisenden“ anhand des gleichfarbigen Buttons näher kennenzulernen.
Wir lauschen den Worten unserer Moderatoren Anna Fingerhuth und Christian Weiß über unsere Headsets und hören den Worten der Interviewpartner zu. Es geht um den Status quo von Salzgitter und um Perspektiven, wie die Probleme der Zukunft zu bewältigen sind. Dazu benötige es Visionen und auch den politischen Willen, den Weg für eine lebenswerte Zukunft in dieser Region, in dieser Stadt, zu ebnen. Viel ist von Abwanderung und Überalterung der Einwohner in den Medien zu lesen. – Mit diesem Strukturproblem hat wohl Salzgitter nicht allein zu kämpfen. So versucht die Stadt durch Programme für junge Familien und Kinderförderung dem Einwohnerschwund etwas entgegen zu setzen.
Wir „fliegen“ weiter und benutzen die Aufzüge im Rathaus (für Insider auch im Volksmund „blauer Bock“ genannt), um im „Steigflug“ schnell an Höhe zu gewinnen, und landen auf der mit Sedum ([bot.] Fetthenne) bepflanzten Dachterrasse, einer vorzüglichen Aussichtsplattform, die bei dem heutigen klaren Wetter einen tollen Rundblick auf das Stadtgebiet erlaubt. Die Stahlwerke der Salzgitter AG (gegründet als sog. Herrmann Göring-Werke) heben sich deutlich zu erkennen am Horizont ab. Ich ertappe mich bei einem neidvollen Blick auf eine schön gestaltete Einkaufstasche mit verschiedenfarbigen Aufdrücken mit dem Wortlaut „SALZGITTER-BAD“, mache der stolzen Besitzerin ein Kompliment, und drücke auf den Auslöser meiner Kamera. Salzgitter besteht zur Zeit aus mehr als dreißig Stadtteilen, von denen einige schon heute aufgrund ihrer strukturellen Schwäche kaum eine Überlebenschance besitzen, so zum Beispiel Salzgitter-Watenstedt. Die Stadtteile Lichtenberg bzw. Salzgitter-Bad besäßen sicherlich aufgrund ihrer besonderen geografischen Lage und Struktur als kleine Zentren eine Zukunft, so der O-Ton eines visionären Interviewpartners.
Die Aussichtsplattform des „blauen Bocks“ verlassen wir in Begleitung rhythmischer, akustischer Musik über das Treppenhaus. Die Bewegungsschärfe meiner fotografischen Aufnahme ist daher folgerichtig unserem rasanten „Sinkflug“ geschuldet! – Weniger mobilen Mitreisenden wird natürlich gestattet, hierfür auch wieder den Aufzug zu benutzen. Außerhalb des Rathauses können wir eine als zart begrünter Erdhügel getarnte, neu erschaffene Tiefgarage bestaunen, die über ebenerdige Ausschnitte Einblick in die Tiefe der Parkebene freigibt. Plötzlich erscheint, wie von Geisterhand gesteuert, ein unbekanntes Flugobjekt aus der Tiefe! Nein, es ist offensichtlich
kein UFO, sondern eine Flugdrohne, wie wir bald erkennen; allerdings noch ohne kommerziellen Nutzen: Traglasten, wie z. B. Postsendungen sind nicht auszumachen. Nach Umrundung des modernen neuen Avacongebäudes, dessen Neubau das ehemalige Gesundheitsamt der Stadt weichen mußte, fliegen wie weiter gen Süden. Es wird wärmer und ein Zwischenstopp mit einer Erfrischung wäre durchaus angebracht. Unsere musikalische Begleitmusik in unseren Ohren wird plötzlich orientalisch. Zu unserer Überraschung stehen wird plötzlich bei hellem Sonnenschein unter dem Sonnendach eines türkischen Obst-, Gemüse-, Fleisch- und Süßwarenhändlers und werden
begrüßt. Es ist der Vater einer türkischen Großfamilie, die vor vielen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist und hier in Salzgitter sesshaft wurde. Verwundert stehen wir vor den üppigen Auslagen des Händlers und bestaunen das reichhaltige Angebot, das üppigen Genuß verspricht. Und ganz unerwartet stehen wir einem Angebot von türkischen Kaffee gegenüber, der uns zur Erfrischung feilgeboten wird. Die akustische Begleitung und auch die Täuschung ist perfekt: Während wir an den Auslagen vorbei weiterschlendern, ertappe ich mich dabei, wie mich umdrehe und nach den vermeintlichen Menschen zu schauen versuche, deren Stimmen ich über das Headset wahrnehme. Eine erstaunliche Sinnestäuschung!
Wir nähern uns dem historischen Stadtkern von Salzgitter-Lebenstedt, dem sogenannten Alten Dorf, das neben einigen Neubauten auch noch viele alte Fachwerkbauten beherbergt. Auf einer Freifläche, einem mit Gras bewachsenen Anger, hinter der Kulturscheune (VHS) sind wir aufgefordert, uns durch eine Blumenzwiebelpflanzaktion an der Entstehung einer Blumenwiese zu beteiligen. Gärtnerische Unterstützung bei der Pflanzaktion (Tiefe der Bepflanzung, Höhe der Erdbedeckung, Verhalten der Blumenzwiebel) bekommen wir dabei von sachkundiger Stimme aus dem „Off“. Nächster Haltepunkt im alten Dorfzentrum ist die St. Andreas-Kirche. Wir betreten den Innenraum und vernehmen den vielstimmigen Gesang eines russischen Frauenchores aus Salzgitter-Fredenberg. Wir halten inne und haben Zeit, das Erlebte meditativ auf uns wirken zu lassen. – Ein Moment der Stille und inneren Einkehr!
Auf unserem „Weiterflug“ durch das alte Dorf nähern wir uns unserem letzten Zwischenstopp unserer Reise, der Tiefgarage des City Carree. Hier wird kurz aufgetankt und die letzte Etappe als „Steigflug“ über die Rolltreppen genommen. Das Ende unserer Reise naht und schließlich landen wir auf der Albert-Schweitzer-Str., wo endlich das Geheimnis um die geschlossenen Briefumschläge gelüftet werden kann. Unsere tollen Brillen für „visionäres Handeln“ haben nicht nur einen stylischen Aspekt und tauchen die Welt in bunte Farben, sondern können auch gleichzeitig, wie einige von uns es gleich ausprobieren, als Sonnenschutz verwendet werden.
Wir rollen zum „Gate 1“ und begrüßen unsere Weltkugel aus Granit: „Die Erde hat uns wieder“. Jetzt gilt es die erlebten Eindrücke zu verarbeiten und davon zu erzählen. Ich zumindest habe es hiermit getan. Auf dem Weg zum „Auschecken“ grüßt mich mein libanesischer Frisör, der hier in der Nähe der „Lounge Kleine Zukunft“ erfolgreich seinen kleinen Laden betreibt. Ich verweile noch einige Zeit in der Lounge, plausche mit Stefanie Bischoff und Christian Weiß von Kleine Zukunft, genieße einen Drink an der Bar und mache mich auf den Heimweg.