
Auf den Spuren des Kunstlebens | Teil 2
Kunst ist ‘gemacht’, aber wo kommt die Kunst her und wer hat sie gemacht? Künstler leben mit ihrer Kunst und das oft näher als man denkt. Sie wohnen mit ihr zusammen oder gehen in ihre Ateliers, wie andere in ihr Büro gehen. Das Kunstfest Kunst…hier und jetzt macht diesen Kunstalltag und das Leben mit der Kunst erfahrbar. Künstler aus Braunschweig und der Region öffneten am 12. und 13. Oktober 2013 die Türen zu ihren Orten des kreativen Schaffens und ermöglichen auch mir eine ganz lebendige Kunst-Tour. Im zweiten Teil meines Berichts finde ich ganz viel Herz (und einen Fisch) im Atelier von Hanno und Angelika Stück und erfahre in der blackhole-factory, wie Kunst sogar zum Leben erweckt werden kann…
Text und Fotos: Stefanie Krause
Wie freundlich kann doch das Leben und die Kunst sein! In der virtuellen Welt des sozialen Netzwerks haben die Fotografin Angelika Stück und ich uns bereits öfter gesehen, ausgetauscht und sogar unterstützt, aber auf meiner heutigen Tour durch Kunst….hier und jetzt treffe ich sie persönlich. Eine Sekunde justiert sich die Wahrnehmung und wir versuchen wohl, die Bilder, Worte und Vorstellungen der Person aus dem weltweiten Netz mit dem Menschen zu verbinden, der hier und jetzt vor uns steht. Und der bereits geknüpfte Faden reißt nicht ab. Im Gegenteil, wir freuen uns und steigen sofort ein in eine Unterhaltung – Angelika stellt heute ihre Fotografien zum Anlass des Kunstfest im Atelier ihres Mannes Hanno Stück aus. Hier arbeitee dieser fast täglich an seinen Gemälden, erzählt Angelika mir und das kann ich auch sehen. Künstlerischer Fleiß und kreative Leidenschaft sind deutlich zu spüren, denn die Atelierwohnung ist über und über mit Hanno Stücks Werken bestückt. Die Malereien beginnen zu mir zu sprechen, da sich abstrakte Formen mit gegenständlichen Elementen verbinden und so eine ganz eigene Sprache formulieren. Ich nehme diese Aufforderung zur Kommunikation an und nähere mich. Dabei kommen mir auch die Bilder entgegen, denn sie ragen nicht nur in übertragenem Sinne in den Raum des Betrachters. Äste und andere, meist natürliche Materialien, sind in die Werke integriert, überschreiten den Rahmen und entreißen die Tafelbilder damit aus ihrem zweidimensionalen Dasein.
Dadurch entsteht ein interessanter Kontrast zu den glatten Oberflächen der Fotografien von Angelika, die im Zimmer nebenan zu sehen sind. Diese Bilder entführen meinen Blick und meine Fantasie in die Innenwelt ferner und teils skurriler Orte. Alte, verlassene Heilanstalten und Krankenhausgebäude faszinieren sie sehr, verrät mir Angelika und ich bemerke, wie ihre Fotografien zwischen Schrecken und Schönheit oszillieren. Sie schafft es mit ihrer Kamera, diesen Unorten eine ganz unerwartete Ästhetik zu verleihen. Fast heimelig einladend wird ein verwitterter Patientenstuhl in Szene gesetzt und auf den ersten Blick erkenne ich auf einem anderen Foto eine stählerne Pathologieliege nicht als das, was sie ist. Man möchte diese Erkenntnisse auch nicht so gerne zulassen, allein schon wegen der roten Farbkleckse unbekannten Ursprungs, mit denen die Liege befleckt ist. Waren das womöglich (hoffentlich) Sprayer? Laut Angelika kommt es oft vor, dass solch spannende Orte umgestaltet werden. Nicht selten werden Gegenstände sogar mitgenommen und damit dem Ort und dem Blick späterer Besucher entwendet. Angelika mag das nicht so gern und hat sich entschlossen, den Orten dementgegen etwas zu schenken. Auf ihren Fototouren hinterlässt sie gerne einen kleinen roten Plastikfisch und hat damit bestimmt schon so einige Fragen aufgeworfen. Wer weiß, auf wievielen Fotografien anderer bereits ein Spielzeugfisch von einer Pathologieliege lächelt? Über solche Wege können neue Geschichten und Kommunikationsebenen entstehen. Ein sehr herzlicher und auf vielerlei Weise ansprechender Atelierbesuch in der Pestalozzistraße 17!
Die nächste Adresse meiner Kult-Tour ist die blackhole-factory in der Kunstmühle. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich jetzt der freundlichen Welt von Angelika und Hanno Stück entrissen und in ein tiefschwarzes Loch geworfen werde. Aber angezogen bin ich schon von dieser dunklen Welt, die hier angepriesen wird. Die Spannung steigt, denn zunächst muss ich auf dem großen Konzerngelände das Kunststudio finden. Hier in einer ehemaligen Versuchsmühle arbeiten Elke Utermöhlen, Martin Slawig und Martin Kroll von der blackhole-factory an medienkünstlerischen Projekten, die bildende und darstellende Kunst, Video, Musik und digitale Medien miteinander verschränken, um im meist interaktiven Prozess mit dem Rezipienten die Themen Realität, Wahrnehmung und Alltagskultur zu hinterfragen. Ein Highlight für Kunst…hier und jetzt ist die kinetische Installation Trance_Code. In einem abgedunkelten Raum entwickelt Trance_Code einen faszinierenden Effekt. Eine Gruppe geometrisch nebeneinander und hintereinander beweglich an der Decke
befestigte Seidenschals scheinen zu einem Konzert aus blauem Schweinwerferlicht und vielschichtigen Geräuschkulissen zu tanzen. Die Stoffbahnen schweben und drehen sich anmutig über den nackten Steinboden, der das blaue Licht diffus zurückwirft und eine Tanzfläche aus Licht erscheinen lässt. Ihr anmutiges Wirbeln löst einen leichten Luftzug aus, der wie ein Geist über mein Gesicht streicht. WOW! Noch toller ist aber, dass Martin Slawig mich sehr offen begrüßt und sich viel Zeit nimmt, die Funktionsweise der Installation zu erklären. Das ist das Besondere am Konzept von Kunst…hier und jetzt, die Künstler können dem Besucher direkt am Ort des Entstehens den Schaffensprozess vermitteln, der hinter ihrer Kunst steckt. Und das ist im Fall von Trance_Code ganz schön kompliziert. Neben der Installation leuchtet ein Computerbildschirm, auf dem ein Prozess abläuft. Zwar werden von diesem Programm die Bewegungen der Schals gesteuert, doch macht das die Installation nicht komplett vorhersehbar. Trance-Code agiert in gewisser
Weise eigenständig und funktioniert wie ein Zwitter aus vorprogrammiertem Medium und lebendigem Wesen. Das ist aber noch lange nicht alles. Martin Slawig macht mich neugierig, denn dies sei erst die vorläufige Version von Trance_Code. Es ist geplant, dass dieses Stück Medienkunst nicht nur in sich agiert, sondern mit dem Zuschauer interagiert. Auf die Körperbewegungen des Zuschauers wird Trance_Code dann mit einer eigenen Bewegung antworten können. Leben und Kunst fusionieren hier mittels neuer Technologien. Das digitale Rohmaterial verleiht dem Medienkunstwerks die Fähigkeit, aus sich selbst heraus auf seine Umwelt zu reagieren. Es ‚verhält‘ sich und macht so einen tatsächlichen interaktiven Prozess möglich, in dem Betrachter und Kunstwerk beiderseits lebendige Impulse aussenden. Die avangardistische Programmatik des 20. Jahrhunderts, Kunst im Leben entgrenzen zu wollen, kommt mir in den Sinn.
Doch das ist Kunst im und aus dem Hier und Jetzt, Kunst in und aus Braunschweig und der Region, vermittelt und erlebt im Rahmen eines Kunstfest, dass ganz nah an der Kunst und dem Leben um und mit der Kunst ist. Eben Kunst…hier und jetzt.