
Gastspiel von Annett Louisan
In vertraute Gefilde, nämlich ins Große Haus des Staatstheaters Braunschweig, führte mich meine Kult-Tour am Internationalen Frauentag zum Gastspiel Annett Louisans. Wie Chefredakteurin Stef jüngst liebevoll unter meiner ersten Videomoderation zu meiner Person kommentierte:“…an allen Fronten! Familie, Bühne, Weiterbildung … und nun auch Film!“. Ja, ich mag all das – und ganz doll Annett Louisan! Mein letzter Konzertbesuch liegt weit zurück. 2008 war es, in der Braunschweiger Stadthalle. Seitdem habe ich mich von ihren CDs, also Musik aus der Konserve, begleiten lassen. Wem ich eher durch meine Opernkritiken bekannt bin, wird jetzt vielleicht einen Bruch wahrnehmen.
Text: Alkmini Laucke | Fotos: Isabel Moran
Der Bruch mit Stil
Der ist vorhanden, der Bruch mit Stil: Mache ich doch keinen Hehl aus meiner Affinität für klare, warme und volle Stimmgebung. Mäkele mal hier herum, predige mal dort. Nun sitze ich erneut in den Heil’gen Hallen des Theaters und sauge die für mich an diesem Ort neuen Eindrücke auf. Bodenständige Menschen überall, nicht laut oder hektisch, nein, zum großen Teil sich ruhig in dieser Umgebung orientierend. Kein nervöses Auf-und-ab-Gehen, kein Sehen und Gesehen werden, sondern geerdetes Auftreten, allenfalls die zielstrebige Suche nach dem jeweiligen Platz. Die Bühne ist im Hintergrund liebevoll mit einem weißen gerafften Vorhang dekoriert, der während des Konzerts als Projektionsfläche für dezente Lichteffekte dienen wird.
Ein Flügel, zwei Celli, ein Bass und zwei Gitarren stehen bereit. Pünktlich um 20 Uhr betreten die äußerst vielseitigen Musiker Hardy Kayser (Gitarren), Martin Iannaccone (Cello/Bass/Percussion) und Friedrich Paravicini (Cello/Flügel/Bass) die Bühne und eröffnen instrumental mit „Stars“ das Konzert. Dann: Freundlicher langanhaltender Applaus, als die zierliche Sängerin im kurzen Schwarzen die Bühne betritt. Was ich in diesem Moment selbst auf eine gewisse Distanz aus der fünften Reihe wahrnehme ist, dass sie deutlich gereift ist. Einerseits professionell, anderseits sehr persönlich und authentisch anmutend, begrüßt sie ihr Publikum.
Texte mit Wiedererkennungswert
Mit „Herrenabend“ eröffnet sie den Abend mit ihrer eigenen Interpretation des Textes. Leises Lachen des Publikums beim Refrain: „Freitags und Samstags da sieht man all die Braven, sie streunen getrennt durchs Kneipendämmerlicht; wo sie schnell mal verschwinden, in Wochenendenklaven und Dinge tun, wo keiner drüber spricht.“ Mit Freude kündigte sie anschließend „Dein Ding“ an, für welches sie von der Presse „mächtig was auf den Sack bekommen“ haben will. Nun, ich nehme an, dass es sich dann mehrheitlich um meine männlichen Kollegen gehandelt haben wird. „Ich hab dein Ding gepostet, es kam kein Kommentar. Ich hab dein Ding gepostet, jetzt wird mir alles klar. Kein Sack hat’s interessiert, kein Schwanz hat’s kommentiert, das ist dein Ding.“ Weitere Songs ihres Albums „Zu viel Information“ schließen sich an.
So menschliche Themen
Louisan ist während ihrer Performance stetig im Blickkontakt mit dem Publikum und ihren Musikern. Sie macht deutlich, dass es sich um ein Team handelt und wirft unmissverständlich und mit ihrem ganz eigenen Humor ein, mit keinem von ihnen je Sex gehabt zu haben. Ihre Natürlichkeit, mit jedem menschlichen Thema so selbstverständlich und wertfrei umzugehen und alles zwanglos zu benennen, scheint das Geheimnis ihres nun elfjährigen Bühnenerfolgs zu sein. Was sie bei diesem Konzert ebenfalls sehr geschickt behandelt, ist die Platzierung ihrer Songs. Mal äußerst emotional, dann wieder melancholisch, um die Zuhörer von dort in die Gefühle der Heiterkeit bis hin zur Selbstironie zu führen. Mit einem Augenzwinkern muss ich an den von mir hoch geschätzten Chordirektor des Staatstheaters Georg Menskes denken, wenn Louisan nur ihr Mikrofon in die Menge halten muss, um einen punktgenauen Choreinsatz zu erhalten. Intonation und Artikulation des Chores ließen keine Wünsche offen, nur mal so am Rande…
Gesamtkunstwerk
Kurz vor der Pause warnt sie musikalisch, was alles unter „Prosecco“ passieren könne. Gedanklich bin ich bereits bei meinem Bericht. Wie soll ich mein Erleben in Worte fassen? Das Publikum ist begeistert, ich auch. Jetzt ist aber für mich die Zeit gekommen zu ergründen, was mich in den Songs dieser Sängerin berührt. Ich, die doch so gerne analysiert und seziert. Genau das ist es: das Gesamtkunstwerk. Louisan hat die Gabe, Gefühle authentisch zu transportieren, eine Gabe, die uns in Zeiten von political correctness, Gender-Debatten und Mainstream-Meinungsmache fremd geworden ist. Nach der Pause geht es für mich ans Eingemachte: „Papillon, Schmetterling lebt kurz und schön, er kennt nur Sommerzeit, dann muss er gehen,der kalte Winter bringt sein Herz zum Stehen.“ Tränen konnte ich nun nicht mehr zurückhalten. Ambivalent zwischen dem Wunsch, dass sie aufhört und doch nicht aufhören soll, sitze ich da, still, traurig. Ich – die sonst nüchtern im Zuschauerraum hört, um dann zu analysieren. Zu frisch die Wunde, die noch offen liegt. Ich möchte stimmtechnisch versierte Künstler keineswegs diskreditieren, doch was Louisan zu aktivieren vermag ist einzigartig: Sie ist perfekt in und/oder aufgrund ihrer Unvollkommenheit. Genau das spiegelt sie jedem Zuhörer. Die Begeisterung des Publkums zeigt sich zum Ende des Konzerts deutlich: Standing Ovations, Jubelrufe, niemand will Louisan mit ihren Musikern gehen lassen. Die letzte der sechs Zugaben, stille Töne:
„Das Gefühl“.
„Das Gefühl ist aus der Kiste raus, und es zieht mir schon die Schuhe aus. Doch das Leben ist kein Warenhaus, denn es nimmt nichts zurück.“ Jetzt lässt das Publikum respektvoll los – und geht. Louisans Performance von „Das Gefühl“ bringt mir, immer noch seit Papillon berührt, die Erkenntnis, warum ich eine solche meiner Ausnahmebegeisterung für die oft elfenhaft gehauchte, hohe Singstimme von Anette Louisan empfinde:
Ich pfeife auf Bögen – manchmal
Wie eine Mutter, die ihr aufgewühltes Kind in den Schlaf zu singen vermag, so erlebe ich persönlich meine Affinität zu dieser Künstlerin. In einer Beziehung, in der Authentizität und Liebe zählen, pfeife selbst ich auf Bögen, Vibrato, Crecendo und penible Intonation. Es heißt im Kleinen Prinzen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Ich möchte dies um zwei Sinnsprüche ergänzen:
Man singt nur mit dem Herzen gut.
Man hört nur mit dem Herzen gut.
Papillon
Mein „Papillon“ hat die Musik von Annett Louisan auch sehr gerne gehört. Sie sieht und hört sie fortan in der ersten Reihe. Ich widme meinen gestrigen Konzertbesuch, sowie diese recht persönlich gefärbte Rezension dir, liebe Inge, in Memoriam.