
The Rake’s Progress von Igor Strawinsky
Premiere am 29.11.2014 im Großen Haus des Staatstheaters in englischer Sprache
Die Inszenierung Christopher Aldens verdient in einer von mittlerweile mit Bildungshysterie belasteten Gesellschaft das außerordentliche Prädikat „Bildung“ und diese kommt mit echtem Tiefgang daher.
Kein pseudopsychologisches Mainstream-Geschwätz, sondern fundierte Kenntnisse sowie seriöse Quellen (C.G. Jung) seiner Gedanken um das Werk. Bravo!
Die Bühne (Marsha Ginsberg) ist in überdimensionalen weißen Räumen gehalten, in der die Akteure minimiert wirken. Dennoch schafft es Christopher Alden, die Beklemmung durch das Stück hinweg aufrecht zu erhalten. Einzig die Übersetzung kann man durch die Überblendung teils schwer erkennen, was insofern schade ist, da der Text zahlreiche Perlen in sich trägt.
Text: Alkmini Laucke | Fotos: Volker Beinhorn
Nun zur Handlung:
Tom Rakewell und Anne Truelove sind verlobt. Der Vater wacht nahezu pedantisch über Annes Wohlergehen. Er ermahnt Tom, einer seriösen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Da erscheint Nick Shadow und überbringt Tom die Nachricht eine großen Erbschaft. Tom bricht mit Nick als seinem Diener nach London auf. Er gelobt Anne Treue. In London angekommen, lässt Tom sich von Nick, der den Teufel darstellt, ins Verderben verführen. Anne, die lange nichts von Tom hört, bricht nach London auf, um ihn dort zu suchen.
In der Zwischenzeit ist Tom zuerst auf Mother Goose getroffen, für die er durch ihre gekonnte Verführung, seine Schamgrenze fallen lässt. Schließlich begegnet er noch Baba the Turk, einer weiblichen Attraktion mit Bart. Nick gelingt es, Tom dazu zu überreden, diese aus taktischen Gründen zu ehelichen. Anne trifft kurze Zeit später auf das Paar und geht traurig davon.
Baba ist die lieblose Behandlung Toms leid und beschließt eigenständig und selbstbewusst, das Leben wieder aufzunehmen, das ihr gefällt. Tom träumte von einer Erfindung und dem ewigen Reichtum und investiert schließlich sein ganzes Vermögen, welches er prompt verliert.
Liebe die Seele zum Lohn
Baba erkennt, dass Tom nur Anne liebt und immer weiter ins Verderben gleitet und unterstützt die beiden, indem sie Anne ermutigt, zu Tom zu stehen. Ein Jahr ist inzwischen vergangen und Nick verlangt seinen Lohn: Toms Seele. Tom ist bankrott und ein Kartenspiel soll das Schicksal der beiden entscheiden. Annes Stimme, die Tom vernimmt, verhilft ihm zwar das Spiel zu gewinnen, doch Nick verdammt ihn noch vor seinem Ableben zu ewigem Wahnsinn. In der Wahnvorstellung Adonis zu sein und auf Venus zu warten, landet Tom in der Psychiatrie. Anne besucht ihn, bestätigt ihm, seine Venus zu sein und singt ihn in den Schlaf. Dann geht sie – Tom verstirbt.
Eine phantasische Reise durch Psyche, Moral und Abgründe
Das Besondere dieser Inszenierung ist, dass sich jeder im Publikum wieder zu erkennen vermag. Hakan Selcuc Tirasoglu als Trulove, verkörperte den Vater Annes, aufdringlich-subtil. Seinen Bass ließ er vielfältig, mal sanft, mal dominant, brillieren.
Ekaterina Kudryavtseva als Anne Trulove spielte ihre Rolle als nach Außen zerbrechliche, jedoch innerlich gefestigte Verlobte grandios! Als hätten Wysten Hugh Auden und Chester Simon Kallmann das Loblied auf diese himmlische Stimme vor nahezu 60 Jahren nur für sie geschrieben. Ein berührender sanfter Sopran, wenn erforderlich mit dramatischem Nachdruck, dabei farbenreich wie ein Sonnenstrahl der durch einen Kristall leuchtet.
Arthur Shen als Tom Rakewell füllte seine Rolle mit stimmlichem und darstellerischem Können aus. Sicher in den Höhen, dynamisch in Umfang und Spiel, mal naiv, mal vor Verzweiflung durchdrungen, beeindruckte er schließlich in der Rolle des Wahnsinnigen!
Orhan Yildiz in der Rolle des Nick Shadow ließ seinem gehaltvollen Bariton im Kontext der Handlung hin und wieder penetrant gefärbten Raum. Eine grandiose Leistung des Sängers, der gewöhnlich durch Wärme und Dynamik besticht, denn hier stellte er die Inszenierung kompromisslos in den Vordergrund.
Vera Semieniuk als Mother Goose, füllte die Rolle sowohl mit warmer und dominanter Fülle, als auch darstellerisch überzeugend aus.
Milda Tubeyte als Baba the Turk. ‚Wie geil war das denn?!‘ Groß, schlank, ästhetisch – mit Vollbart. Sie beherrschte nicht nur Koloraturen, sondern ließ ihre volle Mezzostimme kraftvoll bis in die letzte Reihe klar und sicher klingen. Fast wie ’nebenbei‘ agierte sie in der Rolle der Baba temperamentvoll und witzig, gleichfalls dramatisch und empathisch.
Michael Ha in der Rolle des Sellem, fügte sich harmonisch in das hochkarätige Spiel ein. Sein Tenor klang leicht und gerade geführt.
Rossen Krastev war in der kleinen Rolle des Psychiatriepflegers zu erleben. Schön, dass auch er sie mit Spielfreude ausfüllte, wenngleich sein genussvoller, klarer Bass hier eindeutig zu kurz kam.
Das hatte Klasse!
Der Chor brillierte nicht nur stimmlich souverän, sondern vollbrachte auch eine beeindruckende schauspielerische Leistung. Jede/r einzelne Sänger/in spielte die ihr eigens zugewiesene Rolle, bzw. Geschichte aus. Sicher ist dies auch ein Verdienst der Regie; diese Szenen jedoch so dezidiert und konsequent auszuspielen und sich eben nicht darauf zu verlassen, schon irgendwie in der Masse zu verschwinden – das hatte Klasse! Aber diese Sicherheit ist schließlich der akkuraten Einstudierung Georg Menskes‘ und Johanna Motters zu verdanken.
Roger Epple führte das Staatsorchester souverän durch das Stück. Am Ende gab es verdient einen langanhaltenden Applaus für alle Beitragenden, einschließlich Regie, Kostüme (Doey Lüthi) und Bühne (Marsha Ginsberg).
Eine empfehlenswerte Vorstellung! Vielleicht nicht so bekannt wie die gängigen Opern, was dem Stück keinesfalls gerecht wird. Dank mutiger Entscheidungen und Wagnisse der Theaterleitung muss dies aber nicht so bleiben – schon gar nicht bei solch einer liebevollen und professionellen Umsetzung.
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