
Die Sprengkraft der Kunst!
„Ich wollte die Zerrissenheit darstellen“, vertraut mir Künstlerin Katja Aufleger auf der Vernissage ihrer Ausstellung „ene mene muh“ im Kunstverein Jahnstraße am 20.11.2014 an. Das ist ihr gelungen! Ich schaue gebannt auf eine Videoprojektion, die eine rasant vorbeirauschende Landschaft zeigt. Die Bewegung ist so schnell, dass sich alles in Unschärfe auflöst und ich das Gezeigte kaum mehr erkennen kann. Alles dreht sich! Ich wende mich ab und schaue auf den totalen Gegensatz dieser Arbeit im Hauptraum: Drei mit unbekannten Flüssigkeiten gefüllte Glasbehälter hängen still an starren Metallstreben von der Decke. Die Balance dieser Installation kommt in meinem noch schwindelnden Blick ins Schwanken – eine Täuschung, zum Glück! Denn die drei Flüssigkeiten in den zerbrechlichen Glasflaschen ergäben zusammen eine explosive Mischung: Nitroglycerin!
Text: Stefanie Krause | Fotos: Jens Bartels/JayBe Photography
Das ist kein Witz! Hier befinden sich die drei Bestandteile von Nitroglycerin bedrohlich nah beinandern: Schwefelsäure, Glycerin und Salpetersäure sind lediglich durch die labilen Glaswände der Behälter voneinander getrennt. Zerbrächen die bauchigen Flaschen, könnte es tatsächlich eine Explosion geben, stellt Katja Aufleger mit erstaunlicher Ruhe und freundlicher Zurückhaltung fest. Ihre sympathische, ein wenig introvertierte Art steht irgendwie im krassen Gegensatz zu dem gefährlichen Gehalt ihrer Arbeit. „Diese Arbeit ist nur der Anfang einer Reihe, mit der ich mich mit dem Thema Explosionen beschäftigt habe“, fährt sie fort. Einige der zahlreichen Gäste der Vernissage fragen ungläubig nach. Doch immer wieder erhalten sie die Bestätigung von der Künstlerin selbst und von den Kuratorinnen des Kunstvereins Anna Bauer und Stefanie Matieka. Auch im Ankündigungstext der aktuellen Ausstellung kann ich auf der Webseite des Kunstvereins über den Stoff Nitroglycerin nachlesen:
„Explosionsgefahr bei Kontakt mit: Druck; Erschütterung; Wärme; Ozon; Zündquellen; Reibung; Schlag; Stoß; Verbrennung in geschlossenem Raum“. Entnommen ist dieser Text dem Gefahrenstoffinformationssystem der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Ich glaube, einige haben trotzdem bis zum Schluss nicht wirklich glauben wollen, dass diese Theorie tatsächlich mit dem kleinesten Anstoß zur explosiven Realität werden kann. Dabei wird der Aspekt des ‚Anstoßes‘ mit dem provokanten Titel der Arbeit impliziert: „Newton’s Cradle“ hat Katja Aufleger dieses Objekt getauft und verweist über diesen Weg auf das Newton-Pendel, welches vielen von klischeehaften Hollywood-Szenerien vom Schreibtisch patenter Therapeuten bekannt sein sollte. Bewegt man eines der Elemente des Kugelpendels aus dessen Ruheposition, wird ein Impuls ausgelöst und im beruhigenden Takt klicken die äußeren
Kugeln immer wieder an- und auseinander.
Dementgegen verspricht Katja Auflegers Skukptur bestimmt keine beruhigende Wirkung auf denjenigen auszuüben, der dieses Pendel anrührt. Denn Bewegung könnte hier zu einem Impuls der Zerstörung werden. Trotzdem nähere ich mich der Installation mit leichtem Nervenkitzel, denn auch ästhetisch hat sie ihren Reiz. Insbesondere die Spiegelung auf der glatten Glasoberfläche und die optischen Verzerrungen durch die drei Flüssigkeiten unterschiedlicher Viskosität haben es mir angetan. Plötzlich stockt mir der Atem! Die Besucher des Kunstvereins und des ebenfalls heute stattfindenden Konzert von Sven Waida in den oberen Stockwerken der NeunRaumKunst haben im Gemäuer des Altbaugebäudes minimalste Erschütterungen ausgelöst, die sich nun auf das Kunstwerk übertragen. Dadurch geraten die mit jeweils drei Litern Flüssigkeit gefüllten Kolbengefäße in ganz sanfte Bewegung. Sanft aber in der möglichen Konsequenz bedrohlich! In meiner Fantasie spielt sich das vernichtende Szenario in rasendem Tempo ab. „Zum ersten Mal ergibt unsere Warnung ‚Betreten auf eigene Gefahr‘ echt einen Sinn“, schmunzelt Stefanie Matieka. Dem Kunstverein Jahnstraße ist mit dieser im wahrsten
Sinne des Wortes brandaktuellen Ausstellung erneut ein ganz großer Wurf gelungen! Mit einer anständigen Portion Mut und einem untrüglichen Riecher für höchstinteressante kreative Konzepte junger Künstler kämpft sich das selbstorganisierte Galerieprojekt im westlichen Ringgebiet langsam aber sicher in die erste Liga der Kunstorte Braunschweigs. Gut so!
Katja Aufleger „ene mene muh“ bis zum 18.12.2014 jeden Donnerstag ab 19 Uhr geöffnet. Weiterer Besichtigungstermin ist Sonntag, der 30.11.2014 zwischen 14 und 17 Uhr. Kunstverein Jahnstraße e.V. | Jahnstraße 8a