
Das Gehäuse der Seele
Gleichzeitig stark und durchlässig. So begegnen mir die Skulpturen von Janine Kortz-Waintrop im BBK-Torhaus und tragen somit für mich eine sehr psychologische Bedeutungsebene in sich. Wie schützt man die empfindlichen Seiten der eigenen Seele, ohne dass das bewahrende Gehäuse zu undurchdringlich und starr wird? Zu dieser Fragestellung inspiriert mich die Kunst der in Paris lebenden Künstlerin, die am 28.08.2014 die Vernissage ihrer Ausstellung „Gehäuse“ mit vielen Kunstinteressierten aller Altersklassen feierte.
Fotos: Jens Bartels/JayBe Photography und Stefanie Krause
Janine Kortz-Waintrop im Gespräch. Foto: Stefanie Krause
Eingehend lasse ich die zahlreichen Objekte in den heimeligen Innenräumen und dem lauschig beleuchteten Gartenhof der Galerie auf mich wirken. Ich nehme mir Zeit, meine „Gedanken“ durch die die perfekt in Szene gesetzte Ausstellung „spazieren“ zu lassen, wie es der Bundesverband Bildender Künstler im Ankündigungstext sehr anregend formuliert. Mit der Galerie im alten Torhaus haben diese bizarren und doch so vertraut wirkenden Skulpturen einen ganz wunderbaren Ort der Präsentation gefunden. Wirkt das klassizistisch gehaltene Gebäude doch auf gewisse Weise selber wie ein leicht gedrungenes, abschirmendes und in sich verwinkeltes Schneckenhaus, welches dennoch eine gewisse Offenheit nach außen kommuniziert. Dieser geschichtsträchtige Bau gehört zu den Torhäusern, die an mehreren Orten der Stadt anzufinden sind und im 19. Jahrhundert als Wach- und Zollhäuser fungierten. Jedes hat auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Pendant, mit dem es eine strenge Symmetrie und eine zwischen den Gebäuden spürbare Grenze entstehen lässt. Dennoch strahlen die Torhäuser vor edler und einladender Schönheit. Es wundert also nicht, dass viele von ihnen inzwischen als Räume für Kunst genutzt werden.
So bietet auch der BBK Braunschweig in seinem Torhaus regelmäßig ortsansässigen und externen Künstlern einen geeigneten Raum für umfangreiche Werkschauen.
Für die Ausstellung „Gehäuse“ scheint das Torhaus dieses Mal wahrlich wie gemacht! Die Objekte sind auf zwei Gebäudeebenen angeordnet. Im Erdgeschoss bewegen sich die Besucher wie Flaneure zwischen den Skulpturen umher, so dass mit der Zeit ein bedächtiger Tanz der Sinne zwischen Betrachter und Kunstwerk entsteht. Im Obergeschoss laden Kortz-Waintrops skulpturale Interpretationen von Schlüsseln und Schlössern zu kontemplativen Reflektionen an. Überall behaupten sich verschachtelte Objekte mit merkwürdiger Geometrie und stolzer Ausstrahlung auf freistehenden, weißen Sockeln ihren Platz in der Galerie. Von diesen Plattformen aus ziehen sie an und stoßen gleichzeitig ab. So prallt mein Blick von scharfen Kanten, ungeschliffenen Ecken und rauen, schiefergrauen Flächen ab, um dann doch einen Weg durch das abstrakte Gebilde hindurch zu finden. Der Effekt ist erstaunlich! Ich ertappe mich dabei, wie ich durch diese Freiräume die Menschen beobachten möchte, die ebenfalls anwesend sind. Denn auf geheimnisvolle Art und Weise fühle ich mich von den Skulpturen von Janine Kortz-Waintrop wie abgeschirmt und hinter den markanten Formen nahezu unsichtbar. Ich bin abgespalten von den restlichen Gästen und doch gleichzeitig mit ihnen durch den vom Kunstwerk umrahmten und somit gesteuerten Blick verknüpft. Lasse ich mich auf diese Wirkung assoziativ ein, sind mit dieser Kunst für mich folgende existenziellen Fragen aufs Engste verwoben: Was kann ich von meinem Gegenüber sehen und fühlen? Was macht die Oberfläche dieses Menschen aus und wie gelingt mir ein Blick in die Innenwelt seiner Seele? Schützt sich der Angeblickte vor meiner Kontaktaufnahme hinter einer dicken Mauer oder bin ich willkommen zum gemeinsamen Tanz der Gedanken und Gefühle? Wie viel möchte und sollte ich im Umkehrschluss von mir preisgeben?
Jeder kann selber entscheiden, wie viel er von sich zeigt oder wie viel Versteckspiel für ihn notwendig ist und ich wage zu behaupten, dass die Suche nach dem angemessenen Gleichgewicht wohl eine der wichtigsten Aufgaben der Spezies ‚Mensch‘ ist, die sich gleichermaßen als Herdentier und im Alleingang erproben muss. Doch kann wahre Kraft und echtes Selbstbewusstsein nicht erst dann entstehen, wenn die richtige Mischung gefunden ist? Die Skulpturen von Janine Kortz-Waintrop machen es vor: Sie stehen zu ihrem individuellen Wesen, welches manchmal auch kantig und eben nicht bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen ist und wirken damit als ‚sich selbst bewusste‘, in sich geschlossene, harmonische Einheiten. Trotzdem bewahren sich diese „Gehäuse“ ihre Weichheit, Offenheit und Durchlässigkeit, um sich dem dynamischen Fluss der Dinge und der inspirierenden Verbindungen des Lebens nicht zu verschließen. Und manchmal ist es schließlich vielmehr das Überwinden der eigenen Grenzen, die Offenheit und die sanfte Flucht nach vorne, die den wirksameren Schutz der Seele vollbringt als der starre und stachelige Panzer, der sowohl anderen Verletzungen zufügt, als auch die eigene Seele durch seine sture Form erstickt.
Bis zum 28.09.2014 geöffnet: Mi & Fr 15 – 18 Uhr, Do 15 – 20 Uhr, So 11- 17 Uhr