
Kult-Tour zu „The Journey“
Was für eine schöne Verkettung der Dinge: „The Journey“ ist der Titel der aktuellen Ausstellung von David Stegmann aka Dust in der Hugo 45. Das passt doch! Ich habe mich also auf eine „Kult-Tour“ zu der Ausstellung gemacht und habe mich gerne auf eine Reise durch die präsentierten Werke begeben. Wie? Mit meiner Laudatio, die ich auf der Vernissage halten durfte, und die hier und jetzt auch für all jene erscheint, die nicht auf der Vernissage am 26.07.2014 anwesend sein konnten. Bis zum 31.08. habt ihr noch die Chance, die sehenswerte Ausstellung zu besuchen!
Text: Stefanie Krause | Fotos: Jens Bartels/JayBe Photography
Dass ich meine erste Laudation gerade im Rahmen dieser Ausstellung vortragen darf, macht mich auch wirklich stolz. Denn David Stegmann, der auch als dust bekannt ist, hat sich bereits weltweit in der Kunstszene einen Namen gemacht. Der Freie Künstler und Designer mit schweizer-deutschen Wurzeln stammt ursprünglich aus dem Bereich der Street Art, nimmt seit 2006 regelmäßig an internationalen Ausstellungen teil und konnte bereits auf zahlreichen Einzelausstellungen erfolgreich glänzen.
Aktuell ist aus seiner Vita insbesondere zu erwähnen, dass David Stegmann in der kommenden Ausgabe des Sammelbandes „Kunstwelten“ als ein Künstler unter 100 ausgewählten, aussagekräftigen Positionen der zeitgenössischen Kunst präsentiert wird. Für seine neuesten Arbeiten, die im Fokus der Ausstellung in der Hugo 45 stehen, hat sich David Stegmann das besondere Trägermaterial Glas ausgesucht. Und diese Bilder haben mich am meisten zu meiner Laudatio inspiriert:
Sobald ich auf diese Kreationen blicke, sehe ich Explosionen voll dynamischer und mitreißender Lebenskraft, die jedoch in einer prickelnden Distanz zu mir geschehen. Die spiegelglatten Oberflächen der zum Teil großformatigen Arbeiten auf Glas glänzen mir trotzig entgegen und wirken wie eine geheimnisvolle Wand. Denn mein Blick scheint von ihnen abzugleiten und damit der Zutritt zur inneren Welt der Bilder versperrt.
Doch hinter der statischen und glasharten Fläche brodelt das Leben und hält mich gefangen. Hier sind expressionistische Formen und diffuse Assoziationen in schwarz-weißen Szenarien festgefroren, die ohne oder mit nur wenigen schillernden Farbakzenten zu einer enormen Ausdruckskraft gelangen. Stilsicher gelingt es dust, die innerhalb eines langwierigen Prozesses in mehreren Schichten mittels Mischtechnik auf das Glas gebrachten Motive wie zufällige Eruptionen aussehen zu lassen. Diese nur scheinbar kurzweiligen und höchst-dynamischen Momentaufnahmen sind nun für alle Ewigkeit im statischen Material zum Stillstand verdammt. Wie Relikte einer unbestimmbaren Zeit präsentieren sich die Bilder und setzen sich der Reflexion des Betrachters aus. Hier ist wahrlich Monumentales auf diesem eigentlich so zerbrechlichen Material entstanden.
Ich für meinen Teil sehe toxische Explosionen aus intensiver Farbe und flüchtigem Staub, die gleichzeitig nach Innen und nach Außen streben. Aus der Nähe erspüre ich mit suchendem Blick Mikropartikel, die sich aus der Ferne betrachtet in unendlichen kosmischen Welten verlieren und dennoch innerhalb eines geheimnisvollen Zusammenschlusses gehalten werden.
Die Elemente verteidigen ihren Platz im Chaos der Einheit!
Ich blicke in eine große Weite, eine zerstörerische Unendlichkeit, in der das Kleinteilige dennoch seine Bedeutung und Tragkraft behält. Die Dinge scheinen in Form und Bedeutung zu changieren und damit im ewigen Kreislauf wiedergeboren zu werden. David Stegmanns Bilder spiegeln die Natur und spielen mit dem Leben, welches vielfältiger nicht sein könnte. Neben immer wiederkehrenden, assoziativen Verknüpfungen seiner Kunst zu Wüstenlandschaften, Unterwasserwelten, rankenden Pflanzen und sich windenden Kreaturen, entdecke ich auch märchenhafte Gestalten, utopische Konstruktionen und merkwürdige Körperwesen, die von künstlichen, mechanischen und manchmal auch morbiden Welten flüstern. Ist uns diese kränkelnde Welt vielleicht sogar näher, als wir denken?
Die fortwährende Entfernung des modernen Menschen von der ursprünglichen Natur; Zerstörung der Umwelt und Raubbau an den Ressourcen der Erde; mangelnder Respekt vor der Tier- und Pflanzenwelt einer oftmals verantwortungslos agierenden Menschheit, die sich vor allem auf den technischen Fortschritt verlässt, anstatt sich des eigenen Ursprungs zu entsinnen – Dies scheinen die zentralen Themen David Stegmanns Kunst zu sein.
Von diesen grundsätzlichen Problemen der menschlichen Existenz erzählen auch seine Arbeiten auf Leinen und Papier, die in der Hugo 45 ebenfalls zu besichtigen sind. Hier begegnen mir Zwitterwesen aus Technik und Natur. Aufgetürmte Gebäude, die zu botanischen Gewächsen mutieren, sowie Statuen, die ihrer Bedeutung als ehrwürdige Denkmäler menschlichen Schaffens und Handelns auf sanfte aber deutliche Art beraubt wurden. Übrig geblieben sind verwachsene Formationen auf wackeligen Stelzen, umgeben von verlorenen Seelen, die die Objekte umfliegen.
Im Hintergrund: Apokalyptisches Grau in Grau. Doch David Stegmanns Kunst ist für mich keine Endzeitpropaganda. Ist nicht die von ihm zentral thematisierte Natur die ewige Schöpferin des Neuen, kreiert sie nicht immerzu neue Gestalten und Formen in Tier- und Pflanzenwelt und weiß sie nicht selbst das Sterben für einen Neubeginn zu nutzen? Selbst der Tod ist im Kreislauf der Natur in das Prinzip des Lebens eingebunden und ist somit nicht mit dem technisierten Tod als Vernichtungsprinzip einer kriegführenden Menschheit zu verwechseln. Die manchmal düstere Stimmung der Bilder scheint von einer tiefen Melancholie geprägt, jedoch erzählen sie meiner Meinung nach letztendlich immer von der unbezwingbaren Macht der Natur, der unerschöpflichen Energie des Lebens und von dem gigantischen Überlebenswillen, der jedem lebendigem Wesen innewohnt – auch uns Menschen. Das Lebendige, das Veränderbare und das Dynamische behauptet sich hinter der statischen Glasfläche den Status der bestimmenden Kraft. Das kann ich sehen und ich will es mit Leib und Seele fühlen.
Somit stellt sich für mich die finale Frage: Möchte der Mensch wirklich immer alles lediglich durch schützendes Glas oder aus sicherer Entfernung betrachten? Nein, ich glaube nicht. Auch wenn wir unsere urbanen, technisierten und geordneten Welten nicht mehr verlassen wollen und können, sollten wir den direkten Kontakt zum Ursprünglichen nicht verlieren. Denn auch wir wollen das Leben in seiner gesamten Tragkraft spüren – manchmal bedingungslos und manchmal befreit von allen Grenzen.