
West Side Story unter dem Braunschweiger Löwen
Das Musical West Side Story fand zur Premiere am Sonntag, den 06.07.2014, auf dem Burgplatz einen fulminanten Auftakt: Das Wetter spielte mit und verschaffte dem Publikum die unverwechselbare Stimmung des Open Air Flairs auf dem Burgplatz. Durch die hochsommerlichen Temperaturen konnte man sich dem Geschehen auf der Bühne vollständig hingeben, ohne dabei Decken, Capes und Kissen ordnen zu müssen. Möge es die gesamte Spieldauer so bleiben!
Text: Alkmini Laucke | Fotos: Marek Kruszewski
Romeo und Julia in New York
Das Musical thematisiert zwei verfeindete Jugendgangs, die amerikanischen „Jets“ aus der Unterschicht und die eingewanderten puertorikanischen „Sharks“, die sich seit geraumer Zeit Kämpfe um die Vorherrschaft der New Yorker West Side liefern. Officer Krupke versucht dies stetig zu unterbinden, erntet aber nur Spott und Häme.
Tony, der sich zuvor von dem Treiben der „Jets“ distanzierte, wird aufgrund der aktuellen Auseinandersetzungen von Riff um Unterstützung gebeten, die er widerwillig zusagt. Bernado der Anführer der „Sharks“, plant seine Schwester Maria mit seinem Freund Chino zu verkuppeln. Mit Anita, der Freundin Bernados, bereitet sie sich für eine Tanzveranstaltung vor, auf der die „Jets“ und die „Sharks“ aufeinander treffen. Tony und Maria verlieben sich sofort ineinander. Als Tony Maria küssen will, ist ein weiterer Grund für Auseinandersetzungen gefunden und die beiden Rädelsführer fordern den Kriegsrat heraus. Doc, ein ältere Freund der „Jets“, ermahnt zum friedlichen Umgang – erfolglos. So verabreden sich die Gangs zum Kampf ohne Waffen. Maria bittet Tony dies zu verhindern und auf eine Versöhnung einzuwirken – da auch er von einer gemeinsamen Zukunft mit Maria träumt, verspricht er es ihr.
Bei dem Zusammentreffen ersticht Bernado Riff – Tony ersticht daraufhin Bernado. Officer Krupke stößt abermals auf einer Mauer des Schweigens. Chino macht sich auf dem Weg nach Tony und schwört Rache. Tony und Maria sehen sich wieder – Maria verzeiht Tony. Anita macht ihr bittere Vorwürfe, geht aber zu Doc um Tony vor Chino zu warnen.
Bei Doc wird Anita von den „Jets“ brutal empfangen – voller Hass behauptet sie, dass Chino Maria getötet habe. Tony macht sich nun auf die Suche nach Chino, trifft auf Maria und wird von Chino erschossen und stirbt in Marias Armen.
Muskelspiel und pralle Hosen
Das frei nach Shakespeares „Romeo und Julia“ als moderne Liebesgeschichte des 20. Jahrhunderts inszenierte Liebesdrama spielte sich bei der Braunschweiger Vorführung auf dem Dach eines Hauses der New Yorker West Side ab. Die Bühne um den Braunschweiger Löwen des Burgplatzes wurde geräumig gestaltet – was den Tanzszenen Rechnung trug. Die Kulisse (Bühnenbild und Kostüme: Barbara Bloch) wurde mit Details wie zerrissenen Werbeplakaten versehen, welche die Atmosphäre New Yorks der 50er Jahre stilistisch unterstrich. Philipp Kochheim betont in seiner Inszenierung die Gefügigkeit der amerikanischen Frauen und schafft als Gegenpart einen Hauch Emanzipation mit selbstbestimmter weiblicher Erotik, seitens der Puertorikanerinnen. Die „Jets“ lässt er ihr mit Testosteron im Muskelspiel mit den „Sharks“ in prallen Hosen wetteifern. Durch die sehr durchdachte und vom Ensemble leichtfüßig umgesetzte Choreografie von Alonso Barros ist ein stimmige Mischung von Gefühlen wie Eifersucht, Erotik, Aggression und Liebe entstanden, die bis zum Schluss fesselte.
Akkurate Choreografie – fantastisch in Szene gesetzt
Darstellerisch und tänzerisch ließ die Inszenierung kaum Wünsche offen. Die Kostüme waren farbenfroh, dennoch nicht aufdringlich oder gar von der Handlung ablenkend. Die Tanzszenen waren sauber und authentisch ausgearbeitet, wobei die Unterschiede im Stil sichtbar blieben, sich aber nicht in der Qualität unterschieden. Peggy Pollow bestach in ihrer Rolle als Außenseiterin der „Jets“ durch Quirligkeit, Naivität und Charme, wobei die Rolle mitunter leicht ins Alberne abzugleiten drohte. Adrian Becker als Bernado bestach tänzerisch und darstellerisch, insbesondere im temperamentvollem Zusammenspiel mit Sigalit Feig, die als feurige Anita glänzte.
Sorglosigkeit im Umgang mit Ressourcen
Nicht nachvollziehbar ist die Besetzung Milda Tubelytes als Velma – es sei denn, man ist einem persönlichen Wunsch von ihr nachgekommen. Wer mit diesem Stück nicht allzu vertraut war, wartete auf einen großen musikalischen Auftritt dieser sicher überdurchschnittlichen Mezzosopranistin. Wenn ihr Einsatz nur für einen Kalauer, anspielend auf ihre Körpergröße, gut war: das wäre auch besser gegangen. Sie hat ihre künstlerische Flexibilität zwar durch eine beeindruckende Tanzleistung unter Beweis stellen können; ob solche Ausflüge den Künstlern langfristig dienlich sind, sei dahin gestellt.
Edel geführte Stimmen
Mit den brillant besetzen Solisten Moran Abouloff als Maria und Matthias Stier als Tony, ging man weitaus achtsamer um. Wissend um die Gesangstechnik, um Mögliches und Unmögliches während einer Inszenierung, mussten die beiden sich nicht tänzerisch verausgaben, jedoch „nur“ die Leiter hochklettern, während sie sangen. Diese Anforderung meisterten beide Sänger scheinbar spielend! Matthias Stier berührte durch seine Spielfreude und seinen hingebungsvollen Schmelz, der nie ins Kitschige abglitt. Wohltuende Bögen gepaart mit einer sicheren und kraftvollen Stimmführung, die er mit Leichtigkeit versah. Moran Abouloff war ihm sowohl im Spiel als auch gesanglich ebenbürtig. Der glockenhelle Sopran, edel in die Höhen geführt, war einfach nur anrührend. Eine kluge Entscheidung, die beiden im Wesentlichen für sich stehen zu lassen. Mehr wäre darstellerisch zu viel gewesen.
Glanzleistung Menskes‘
Bernstein gelang es mit seiner Musik die Gangs zu charakterisieren: Jazzelemente dominierten die „Jets“ und bei den „Sharks“ ließ er lateinamerikanische Rhythmen einfließen. Bei den Konfrontationen der Gangs ließ er die Musik einerseits die aufdrehende Gewalt eindringlich verkünden, anderseits beide Richtungen in der Liebe von Tony und Maria münden. Wie ein Wagnis wirkte schließlich musikalisch die Zusammensetzung von Musicaldarstellern und Opernsängern. Der Tenor aus den Stimmen des musikbegeisterten Publikums war schließlich, dass man die beiden Fächer nicht vergleichen dürfe, was jedoch in einer gemeinsamen Inszenierung unmöglich ist. Hier lag die größte Herausforderung beim musikalischen Leiter Georg Menskes, dem es in einer Glanzleistung gelang, den akustischen Rahmen von Opernsängern, Musicalsängern und dem Staatsorchester zu bündeln und dabei den gewohnten Anspruch beizubehalten. Es gelang ihm, das Orchester dynamisch und klar zu führen und dabei den Grat, die verschiedenen Stimmen im Ganzen harmonisch einzubinden, sicher zu beschreiten.
Claus Theo Gärtner – unverkennbar
Die diesjährliche Ansage zum Verhalten in der Burgplatz-Arena während der Aufführung, war nicht nur inhaltlich vertraut sondern auch akustisch: Claus Theo Gärtner, als „Josef Matula“ nahezu 30 Jahre einem breiten Fernsehpublikum aus „Ein Fall für Zwei“ bekannt, besprach das Band welches die Burgplatzbesucher von nun an allabendlich auf die Vorstellungen einstimmen wird. Die Rolle als Officer Krupke liegt ihm. Professionell und einnehmend fügte er sich in das Ensemble ein. Gärtner wird sofort mit Matula in Verbindung gebracht: sowohl durch sein Auftreten als auch durch seine unverkennbare raue, zugleich wohlklingende Stimme. Ob dies Fluch oder Segen sei, haben wir bislang noch nicht erfragt.
Kult-Tour Braunschweig plant in diesem Zusammenhang noch weitere Berichterstattungen, doch bis dato nahmen wir Abstand, ihn mit Fragen zu belagern, da er nach der Vorstellung kaum einen Schritt machen konnte, ohne angesprochen zu werden. Bezogen auf seiner Rolle als Krupke lässt er möglicherweise noch Raum für ein noch präziseres Spiel. Es kann dem Zuschauer mitunter schwer fallen, den bislang unverwechselbaren „guten Cop“ nun als rassistischen und teilweise hilflosen Cop wahrzunehmen. Da geht noch was.
Alles in Allem war es eine runde, gefühlvolle und unterhaltsame Inszenierung mit viel Liebe zum Detail. Auch wenn die Bühne voll Aktion war, wurde an keiner Szene oberflächlich gespielt. Jeder Charakter war deutlich definiert und überzeugend ausgespielt. Bravo!
West Side Story bis zum 25.07.2014 auf dem Braunschweiger Burgplatz (nach einer Idee von Jerome Robbins und der Musik von Leonhard Bernstein).
Alle Vorstellungen sind bereits ausverkauft!