
Zitrone Rock: Was soll der Käse?
Hinter dem Rand eines roten, viereckigen Acrylbildes ist eine Spielkarte geklemmt. Ihre Aufschrift: „Der Käse“. Das wirft Fragen auf, die ich nicht so leicht beantworten konnte. Also nicht verzagen, Zitrone fragen. Denn er ist es, der hinter der aktuellen Austellung in der NeunRaumKunst steckt: Acrylgemälde seiner „Roten Phase“ im Stil des Neo-Fauvismus. Kurzerhand führe ich nach einem Besuch der Vernissage ein Gespräch mit Zitrone Rock, der nicht erst nach den Löchern im Käse fragt, sondern sie entschlossen selber bohrt! Viel Spaß!
Interview und Fotos: Stefanie Krause
Lieber Zitrone, stell uns doch mal dein neuestes Projekt vor! So neu ist es ja gar nicht (lacht). Mit der Malerei bin ich seit vielen Jahren verbandelt, und Hatice hat gesagt, ich soll’s jetzt endlich mal zeigen. – Wer ist denn Hatice? Ach so, sorry. Das ist neben Frau Heike Witzka meine zweite Agentin. Und, … naja, also wir sind jetzt sozusagen ein Paar. – Okay, verstehe. So einer wie du bleibt ja auch nicht lang allein… Stef, das mit uns wäre doch eh nicht gut gegangen (schmunzelt)! – Äh, ja (schmunzelt zurück). Doch kommen wir zurück zum Thema, denn eine Frage brennt uns allen jetzt echt auf der Zunge: Was ist „Neo-Fauvismus“? Der Neo-Fauvismus ist eine Kunstrichtung, und dabei geht es im Kern um Auflösung von Strukturen, aber anders als im Dekonstruktivismus. Der Begriff kommt von dem französischen Wort „fauve“ und bedeutet etwa „wilde Bestie“. Heute betonen wir Neo-Fauvisten besonders Flüchtigkeitseffekte. Mein Spezialgebiet ist der Rand und seine Wirkungen. – Mal so eben am Rande, verstehe. Was genau stellst du
aus und warum? Kunst ist Freiheit! „Was einem wie Feuer aus dem Herzen schlägt“ (Beethoven), das drängt dazu, gezeigt zu werden. Ich habe ja das Entwicklungsziel des Akzeptierens, und ich akzeptiere meine Angst vor Voyeuren und Denunzianten im Publikum.
Darum zeige ich die wichtigsten 20 Acryl-Werke erstmals einer breiten Öffentlichkeit. Ohne Kunst stürbe ich. Darum stelle ich aus. – Warum hast du die Neunraumkunst zum Ort deiner Ausstellung gewählt? Ich bin gefragt worden, und da habe ich beherzt Ja gesagt. Es sind lauter liebe, verrückte Leute, und uns allen geht es in der Jahnstraße ja in erster Linie darum, Kunst für alle Menschen direkt erfahrbar zu machen. Egal, ob Anzug oder Knielochhose! Das ist selten und kostbar, und die BBG ist ein cooler Partner mit der nötigen Prise Pfeffer im Arsch. – Es gab einen Vortrag auf der Vernissage. Worum ging es und warum wurde dieser Vortrag gehalten? Mein Ansatz ist es nicht, in einer abgehobenen Künstlerwelt sich selbst zu feiern! Weil ich mitten im Leben stehe und einen transgenerationalen sowie sozial-mobil-flexiblen Lebensstil habe, binde ich auch Menschen aus Wissenschaft, Politik, Medien und Wirtschaft mit ein. Wir können in diesen vernetzten Zeiten nur zusammen etwas bewirken! Und in dem Vortrag ging es um moderne Methoden des Kunstmarketing. Netter Vortrag von diesem Dr. Heydingsfeldt. – Erscheint dir die Philosophie der Neuraumkunst besonders passend für deine Kunst? Ein befreundetes Wirtschaftsunternehmen stellt die Räumlichkeiten, die kreative Elite Braunschweigs kann sich pointiert an einem festen Ort zeigen. Das ist doch coool! Wir Neunraumkünstler stehen für Freiheit. Allerdings muss Kunst auch etwas kosten. Und wir brauchen noch mehr städtische und staatliche Förderung, Stipendien und noch bessere Räumlichkeiten. – Wie ordnest du dein malerisches Schaffen in deine Tätigkeit als Folk-Punk-Liedermacher ein? Umgekehrt wird ein Schuh draus. Ich mache ja auch noch Gedichte und Geschichten, Fotografie und Mode, Sprühkunst, schreibe Theaterstücke und Hörspiele. Und das Malen war ganz zuerst da. „Folk-Punk-Liedermacher“, so habe ich mich ja auch nur genannt, um mal mit irgendetwas anzufangen. Einmal bin ich als Liedermacher aufgetreten und habe nur live auf der Bühne, stumm!, gemalt. Aber das versteht eben nicht jeder. – Welche Bedeutung hat die Musik für dein malerisches Schaffen? Keine, zum Malen brauche ich nur Ruhe und genug Nahrungsmittel für ein paar Stunden. Ich male stets mit Ohropax und während des Meditierens. Beide können aber schon vorläufig als unabhängige künstlerische Ausdrucksmittel gelten. – Sind deine Bilder Punk und warum? Nein. Punk ist tot, seit es in Kleidungsladen-Ketten ab Werk zerschlissene Jeans zu kaufen gab. Mit bunthaarigen Obdachlosen hat das nichts zu tun. Es ist nichts Punkiges, im Einfamilienhaus die Ramones so laut aufzudrehen, dass sich die Nachbarn ärgern. – Wieviel Zitrone findet man in deinen Bildern und wieviel Rock? Ich verstehe die Frage nicht. Da bin ich eher Wittgenstein-Fan. – Versteckt sich hinter der Oberfläche der Bilder auch dein „echtes“ Gesicht? Ich reite stets mit offenem Visier. Die Bilder sind ganz und gar mein echtes, reales, authentisches, reines, wahres Ich.
Nicht nur das Gesicht. – Ich bin studierte Kunstwissenschaftlerin. Du kannst dir wohl denken, dass mich deine Bilder von der wissenschaftlichen Sichtweise nicht unbedingt vom Hocker hauen. Woher nimmst du den Mut und das Selbstverständnis, diese Bilder in einem Ausstellungskontext zu präsentieren und auch teilweise über 100 Euro dafür zu verlangen? Zunächst einmal vielen Dank für diese wichtige Frage. – Nichts zu danken, ich bin gerne fies (schmunzelt). Nein: ich bin gerne ehrlich, meine ich! Die Wissenschaft zeigt sich nun mal hin und wieder als energischste Feindin des Realen. Ich male ja nicht für einen Freiheits-Orden, das Bundesverdienstkreuz, eine Hochschulprofessur oder eine Brockhaus-Erwähnung! Das ist doch alles heuchlerischer Mist und nichts weiter als Lebenslaufoptimierung, wenn man so ausgerichtet Kunst herstellt.
Sondern ich arbeite als Künstler aus Freiheitsliebe, und für die Freiheit. Dass Dich meine Kunst kalt lässt, hat dabei keinen Einfluss auf meine Achtung vor Dir oder irgendjemandem. – Das habe ich nicht gesagt. Der Blick der Kunstwissenschaftlerin ist schließlich nur eine von vielen Perspektiven (schmunzelt). Ablehnung is oké, nur weiß ich eben sehr genau, was ich tue, und das nehme ich sehr ernst. Nur mich selbst nehme ich nicht ernst. Noch eins:
Erstens verfüge ich als Mensch durchaus über Chuzpe, ein wenig lindenbergisch-größenwahnsinnige Dreistigkeit und charmanten Wagemut.
Zweitens geht es uns Neo-Fauvisten ja ohnehin um Randeffekte und das Entstehen und das Auflösen von Rändern. Bzw. die Beobachtung/Darstellung dessen.
Der wirtschaftliche Wert meiner Werke richtet sich selbstverständlich schon gar nicht nach wissenschaftlichen oder pseudo-wissenschaftlichen Zuschreibungen. Ich habe ihn nach meinem Stundensatz minutengenau abgerechnet. Zuzüglich 18% unternehmerischen Risikos und Inflationsanpassung.
Mein teuerstes Werk in dieser Ausstellung kostete 310 Euro, und es ist, wie knapp die Hälfte der Exponate, bereits verkauft. – Möchtest du mit dieser Aktion anderen ein Vorbild sein? Nein. Jeder möge bitte sein eigenes Leben leben. Bitte kein Nach-Bild werden. – Was ist deine „Message“ an die Welt? Meine Vision ist mehr Freiheit, mehr Sicherheit, mehr Gesundheit, bessere Ernährung, mehr Sport und Lockerheit. Jeder soll das Durchleben, was für ihn/sie dran ist.
Über Anfragen für eine Ausstellung freue ich mich. – Geht es wirklich um ernstzunehmende Kunst oder eher um eine gewisse Lebenseinstellung oder um etwas ganz anderes? Oh Gott, wie ich diese Frage kenne! Und ich kann auch verstehen, dass sie gerade bei mir immer wieder gestellt wird. Danke.
Es geht um Kunst. Such Dir selber aus, was Du „ernst“ nehmen möchtest.
Und es geht ausnahmslos immer um alles. Entkoppelte Welterklärungsmodelle, unikausale Konzepte halte ich – und damit bin ich nicht allein – für überholt. – Was denkst du, was dem Betrachter angesichts deiner Bilder durch den Kopf geht? Mate-Tee, eine Zitronen-Limo oder unser gutes Braunschweiger Leitungswasser.
Ich denke, die Leute lieben meine freie Art und sie sehen es als Ermutigung. In einigen Bildern geht es auch fast ins Gegenständliche, da hab ich einen kleinen neo-fauvistischen Kontrapunkt gesetzt. Ich habe bei der Vernissage viel Zuspruch erhalten, und für den Winter bin ich jetzt voraussichtlich in einer Bank in Braunschweig der ausstellende Künstler. – Du hast auf der Vernissage auch Musik gemacht. Was wirst du während der Öffnungszeiten deiner Ausstellung für Aktionen veranstalten? Es gibt vielleicht doch noch Body-Painting, dann zur Finissage eine stumme Performance. Und ich begleite das Ganze mit Free Jazz auf der Gitarre. – Welchen Streich planst du als nächstes in Braunschweig? Ich besprühe zuerst ein paar T-Shirts und gründe mit Yvonne Kamermann und Roland Kremer ein Mode-Label, als nächstes bringe ich eine Musik-CD raus und bewerbe mich bei Braunschweigs kleinstem Theater „Das Kult“ als Inspizient. Dann kandidiere ich mit Anna Waffel Art für den Vorsitz im EiKo e.V. und trinke in der DRK Kaufbar 2 Liter Zitronentee auf ex. Anschließend erwerbe ich den Adelstitel von Lord Schadt und die Ehrendoktorwürde von Doktor Pfau.
Dankeschön für das Gespräch!
Die Ausstellung ist jeden Donnerstag noch bis zum 12.06.2014 in der NeunRaumKunst zu sehen.