
Kunst im doppelten Boden
Da geht man auf eine Kunstausstellung und denkt, man steht im Wald. Dunkle, knorrige Äste hängen unter der Stuckdecke des schönen Zimmers und es riecht nach Harz. Die Natur durchdringt die Kunst von Maria Loboda. Ihre oft sehr symbolisch verschlüsselten Werke sind derzeit im Kunstverein Braunschweig ausgestellt und ich möchte hiermit jedem einen Besuch ans Herz legen. Denn nicht nur die Nadeläste an der Decke werfen interessante Fragen auf und öffnen den Geist für ausgefallene Reflektionen der Wirklichkeit, auch die restlichen Werke der Künstlerin verbergen lockende Geheimnisse. Ich bin auf meiner Kult-Tour jedoch nicht nur diesen versteckten Botschaften auf der Spur, sondern mich interessiert auch das „Davor“ der fertigen Werkschau. Die Mitarbeiter brauchen im Vorfeld der wechselnden Ausstellungen am Kunstverein nicht nur kunstwissenschaftliche Kenntnisse, sondern vor allem eine gute Portion praktisches Verständnis und Mut zur kreativen Improvisation während des Aufbaus. Hier ein Blick hinter die Kulissen.
Text und Fotos: Stefanie Krause
Die Skulpturen, Installationen und Collagen Maria Lobodas Ausstellung „Dead Guardian“ verteilen und integrieren sich überall in den prunkvollen Räumen des renommierten Ausstellungsortes. Mir hat sich schon lange die Frage gestellt: Wer bereitet die Räume für die immer wechselnden Ausstellungen im Kunstverein vor und wie werden die Kunstwerke in die Räumlichkeiten intergriert? Ich habe mich deswegen von Iris Schneider auf einen Gang durch die künstlerische Welt von Maria Loboda (geb. 1979 in Krakau) einladen lassen, um einige spannende Hintergründe zu Ausstellungskonzept und -durchführung zu erfahren. Die Mitarbeiter des Kunstvereins arbeiten manchmal mehrere Wochen an dem Aufbau. Oftmals werden erst kurz vor Eröffnung die benötigten Werkzeuge beiseite geräumt und der letzte Staub der zuvor geleisteten teils sehr anstrengenden Arbeit entfernt, damit das Gebäude des Kunstvereins in strahlendem Glanz die aktuelle Ausstellung umrahmen kann. Damit Raum und Kunstwerk auf wundersame Weise verschmelzen können, werden oft umfangreiche bauliche Veränderungen vorgenommen. Im Fall von „Dead Guardian“ gehen Kunstwerke und Kunstverein zum
Teil sogar eine höchst materielle Symbiose ein.
Der neue Anstrich mancher Zimmerwände ist dabei eher eine der leichteren Übungen. So wünschte sich die Künstlerin für den Raum 1 der Austellung einen ganz bestimmten Blauton, den es erstmal zu beschaffen galt. In Pompadour-Blau erstrahlt das Zimmer nun und umschließt ein in der Mitte herabhängendes Accessoire, wobei es sich um ein silberglänzendes, platinbeschichtetes Fläschchen mit gefährlichem Inhalt handelt: Der Flacon enthält Wasserstoff, der bei Öffnung des fest verschraubten Gefäßes explosiv mit dem Luftsauerstoff reagieren würde. Der Anstrich des Raumes wurde von den Mitarbeitern des Kunstervereins nach den konkreten Vorgaben der Künstlerin vorgenommen und stellt schon an sich ein Kunstwerk dar: Mit dem Titel „Who cares who wins (Pompadour Blue)“ wird die Wandfarbe zum Kunstwerk erhoben und die fleißigen Helferlein somit in den künstlerischen Prozess mit einbezogen. Gerade bei solch konzeptionell sehr komplexen Ideen, wie denen von Maria Loboda, ist die Kommunikation der Künstler mit den Mitarbeitern des Kunstverein unerlässlich und die Mithilfe von großer Bedeutung.
Hier wird zuweilen richtig angepackt! Zum Beispiel musste für das Werk „Guardian“ eine ganze Wand verkleidet werden. Nur zwei Achat-Augen ragen aus der neu eingezogenen Wand und implizieren, dass hier ein alles beobachtender „Guardian“ in die Wand eingemauert ist. Diese Augen des „Wächters“ im doppelten Boden ermahnen laut Werkbeschreibung „die Anwesenden […] zum Stillschweigen und fordern das Versprechen ein, dass die Dinge, die innerhalb des Hauses vor sich gehen, nicht nach Außen dringen.“ Als ich das lese, muss ich ein wenig schmunzeln, denn ich kann und möchte zumindest ein Geheimniss dieser Augen lüften. Iris verrät mir, dass hinter den eingegipsten Augen eine Auffangschale eingebaut ist, falls dem Wächter versehentlich eins seiner wertvollen Achataugäpfel aus der Fassung fallen sollte. Das sind diese kleinen aber so wichtigen Tricks und Kniffe, die dem späteren Besucher der Ausstellung entgehen. Doch gerade diese Hintergründe einer Ausstellung finde ich höchst spannend!
Weiter geht es also durch die Ausstellungsräume – mit offenen Augen, die einen neugierigen Blick hinter die Kulissen werfen möchten. Hier und da kommen wir an verdunkelten Fenstern vorbei. Hiermit wird der passende Belichtungseffekt der ausgestellten Objekte geschaffen, natürliches und künstliches Licht werden zum Arbeitsmaterial für die perfekte Inszenierung der Werke. Doch auch die Räumlichkeiten erfahren durch die Ausstellung einen Mehrwert an Bedeutung, so impliziert „The unbroken seal“, eine durch ein Hanfseil fest verschlossene Flügeltür, eine verstecktes Zimmer im Kunstverein, wo sich aber in Wirklichkeit lediglich eine abschließende Wand befindet. Die Verschmelzung von Ausstellungsraum und Ausstellungsstücken führt zu ganz eigenen Interpretationsmöglichkeiten, die „Dead Guardian“ während des Ausstellungszeitraums im Kunstverein Braunschweig auf gewisse Weise einzigartig werden lässt. An anderem Ort erführen die Werke womöglich eine ganz andere Konnotation und die gesamte Ausstellung bekäme eine vollkommen andere Wirkung. Dies beweist: Kunst steht im Prinzip nie fest, sondern ist abhängig von dem umgebenden Raum und den Interpretationen des Betrachters. Das scheint ebenfalls ein Aspekt zu sein, den Maria Loboda mit ihren Arbeiten in den Fokus zu nehmen scheint. Ich werde in diesem Kontext von Iris auf die Schriftzüge titels „Verbal sculptur I – IV“ an den Wänden mancher Ausstellungsräume hingewiesen. Hier kann ich „außerst präzise“ Werkbeschreibungen lesen, „wie man sie beispielsweise in Auktionskatalogen von Sotheby’s finden kann“, wird es im Beiblatt näher erläutert. Doch das angepriesene Kunstwerk fehlt und „manifestiert sich lediglich vor dem inneren Auge des Betrachters“ sowie als verbale Signatur im Raum der Ausstellung.
Als greifbarer und damit auch mit mehr handfester Arbeit für die Mitarbeiter des Kunstvereins verbunden erweist sich dagegen der Werkkomplex „Ah, Wilderness“. In drei Räumen des oberen Geschosses, den man über die wunderschöne Wendeltreppe des Gebäudes erreicht, findet sich die besagte (Nadel-)Bauminstallation inmitten des herrschaftlichen Altbaus. Mächtige Äste von Kiefer, Fichte, Douglasie, Zeder, Birke, Buche, Eiche und Erle wurden mit Hilfe des ganzen Aufbauteams in den ehemaligen Wohnräumen nach den Vorgaben der Künstlerin installiert und an der Decke befestigt. Der Effekt ist grandios – Natur und Kultur prallen aufeinander und scheinen sich um die Vorherrschaft zu streiten. Dabei strahlt dieses Kunstwerk trotzdem eine ausgleichende Harmonie und berührende Sinnlichkeit aus. Die Stille des Waldes scheint in die Zimmer des Hauses eingekehrt zu sein und wir legen uns einer spontanen Eingebung
folgend auf den hölzernen Dielenboden, um den intensiven Geruch des Baumschnitts einzuatmen. Doch auch hier verbirgt sich hinter der verschleiernden Schönheit ein „bedrohlicher Wesenskern der Dinge“, so wie von eigentlich allen Werke der Ausstellung eine gleichzeitig heimelig-wohlige und düster-doppelbödige Ausstrahlung ausgeht, die mich auf jeden Fall sehr fasziniert hat! Dabei fungiert der Kunstverein als verwunschener Ort, der diesen Effekt von Lobodas Kunst verstärkt. In einem Raum reflektieren sich zum Beispiel eine vermeintlich steinerne Löwin und
ein loser Haufen Flechtkörbe in einem Spiegel, ein Kleiderschoner unbekannten Inhalts hängt von einem mächtigen Kronleuchter, lederbehandschuhte Hände formen mystische Gesten einer nicht-existenten Religion.: „Maria Loboda hat eine Vorliebe für verschüsselte Botschaften“ heißt es im Text zur Ausstellung. Doch welche dunklen Geheimnisse zum Beispiel hinter dem Zimmerwald stecken, verrate ich euch jetzt noch nicht. Vielleicht wird es beim morgigen öffentlichen Gespräch von der Künstlerin höchstpersönlich gelüftet!
Mein neu gewonnenes Wissen um das „Wie“ hinter der Ausstellung hat den Zauber von Lobodas Kunst für mich auf keinen Fall gebrochen, sondern wertvolle Einblicke in die Arbeit der Mitarbeiter am Kunstverein geliefert und damit meine Neugierde verstärkt. Vielen Dank an Iris für diese spannende Führung der etwas anderen Art!
ARTIST TALK: MARIA LOBODA: Donnerstag, 15. Mai, 19:00