
Von singenden Wintervögeln und dicken Klangteppichen. VIDEO und Konzertbericht mit You Silence I Bird, Long Distance Calling und Son
2019 hat für mich so richtig musikalisch begonnen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem keine Musik läuft, derzeit übrigens am meisten das aktuelle Album von Roosevelt. Jaha, schnulziger Dancepop mit 80er-Melodien und einer wahren Streichelstimme. Könnt ihr ja mal reinhören. Meine letzten Livekonzerte sind damit jedoch kaum zu vergleichen. Hier bekommt ihr einen mehrteiligen Konzertbericht von völlig grundverschiedenen Veranstaltungen, die ich in den Wochen rund um den Jahreswechsel in und um Braunschweig besucht habe.
Text und Fotos: Stefanie Krause
Schon einige Woche vor Jahreswechsel ist die alternative Szene in Aufruhr, da die Postrocker Long Distance Calling Braunschweig am 15.12.2018 einen Besuch abstatten. Die Karten sind im Nullkommanix ausverkauft und lassen klaustrophobische Zustände im Eulenglück vorahnen. Es kommt aber doch nicht so schlimm. Livekonzerte fügen sich in der Tat recht bequem in die Eule, die ja sonst eine Disco ist. Letzteres hat leider zur Folge, dass die Konzerte, die an Öffnungstagen stattfinden, wie dieses Konzert auch, hyperpünklich beendet werden müssen. Schließlich muss man für den Tanz- und Trinkbetrieb aufräumen und umbauen. Beziehungsweise finden die Konzerte dadurch für meine Verhältnisse einfach viel zu früh ihren Ausklang. Eine kleine Nachlässigkeit in der Zeitangabe der Facebookveranstaltung (oder wurde die Ansage versäumt, dass sich der Beginn vorverlegt?), ein latenter Hang zur Unpünklichkeit meinerseits und schon ist es an diesem Abend geschehen: ich bekomme nur noch einen Teil des Auftritts von Long Distance Calling mit. Aber hey, ich habe sie noch gesehen! Der Sound: sauber! Und so kann ich zum instrumentalen Postrock der Münsteraner Band einen Moment lang im Publikum abheben. Oder sollte ich ihren Stil „Heavy Spherical Metal“ nennen, um noch einen schwer definierbaren Genrebegriff der Musikszene hinzufügen? Lieber nicht. Keine Frage: Da ist schon Druck drauf, trotzdem: Schweben geht bei Long Distance Calling immer. Fazit: schöner Start in eine tanzreiche und leidenschaftliche Nacht an diesem Tag. Und: Mein erstes Konzert seit längerem! Ich hatte Blut geleckt.
Zwei Wochen später lege ich einen radikalen Richtungswechsel hin. Musikalisch, nicht persönlich – Ich bin immer noch voll im Takt. Es geht diesmal mitten in unsere schöne Altstadt. Bestimmt seid ihr alle um die Weihnachtszeit hin und wieder an diesem lauschig ausschauenden Ding auf dem Eiermarkt vorbeigeshoppt, vorbeigehetzt oder einfach nur vorbeispaziert? Richtig, wer nicht. Seit ein paar Jahren pflanzt sich an genau diese Stelle das Wintertheater. Ein paar echte Nadelbäumchen stehen vor der Holztür und so glitzert das große Weihnachtszelt still vor sich hin. Nun, meistens ganz und gar nicht still. Denn in dieser temporären Veranstaltungsbühne, die erst spät nachts schläft und dabei ein bisschen so klingt, als würde sie friedlich atmen, finden während der kalten Zeit gemütliche Kulturveranstaltungen statt. Meine Favoriten sind natürlich die Konzert und so freue ich mich sehr, dass ich zum Tourabschluss von You Silence I Bird eingeladen bin. Einen Tag vor Silvester geben sie mit Son ein feierliches Konzert – gleich zwei der derzeit erfolgreichsten Bands der Stadt auf einmal. Wunderbar!
Tiefenentspannt, dennoch wie immer etwas unter Zeitdruck, will ich mich auf den Weg machen. Vielleicht ein bisschen zu entspannt, denn ich setze erstmal das Badezimmer aus Versehen unter Wasser und frage mich, ob mich Weihnachten und das ganze Gedöns davor und danach doch etwas aus der Spur gebracht hat. Egal, Weihnachen liegt hinter mir, alles war und ist gut und der sanfte Indiepop von der Band, die mir schon mit ihrem Namen ein wohlwollendes Lächeln auf die Lippen zaubern, wird genau zur Stimmung passen. Ja, You Silence I Bird kann man einfach nur lieb haben und die vier Jungs und ihre melodische Musik gleichermaßen sympathisch finden. Das haben auch schon andere bemerkt, die Sitzreihen des Wintertheaters sind demnach dicht besetzt und ich werde sogar persönlich zu meinem Platz gebracht. Gediegen! Ich muss sagen, das Wintertheaters steht dieser Art Konzert wirklich gut zu Gesicht. Unzählige Spiegel reflektieren das gedämmte Licht und die Bühnensituation erinnert mich an die legendären MTV-Unplugged-Konzerte. So hat das Publikum freie Sicht auf eine mittig angelegte, runde Plattform, die mit allerhand Teppichen und Dekorationen geschmückt ist und den Musikern als Bühne dient.
Der Auftritt von You Silence I Bird ist freundlich, souverän und ruhig. Einfach schön! Ab und an ahmen sie ihrem Bandnamen zu Ehren Vogelgezwitscher nach, welches wirklich jedem Gast und auch den Musikern selbst ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Fast kriege ich Frühlingsgefühle, muss seufzen und komme mir dabei herrlich sentimental vor. Auf dem Klangteppich von YSIB hebt es sich ganz federleicht ab, handelt es sich hierbei doch vielmehr um ein fluffig leichtes Seidentuch im Wind – verglichen etwa mit dem dicht gewebten Hochflorteppich aus schwerer Schurwolle von Long Distanz Calling. Das ist in der Tat kaum zu vergleichen! Um so besser, ich mag die Abwechslung.
Abwechslung ist darüberhinaus für den gesamten Konzertabend im Wintertheater ein prägendes Element. Denn es gibt kein Nacheinander, sondern fast schon ein Miteinander. You Silence I Bird und Son wechseln sich mehrmals ab und zwischendurch gibt auch Moderator Markus Schultze seine musikalischen Talente zum Besten. Singer-Songwriter Son aka Timo Scharf triet diesmal mit stattlicher Unterstützung einer mehrköpfigen Band an, was seine Songs ordentlich zum rocken brachte. Ein runder Abend, abwechslungsreich, kurzweilig, angenehm – und durchaus auch groovy. Es wird zwischenzeitlich sogar getanzt, nicht nur auf den Gängen, so wie es auf Aufforderung von You Silence I Bird tatsächlich geschieht, sondern auch auf den Sitzen, so wie es mein Nachbar tat und damit den Holzboden mächtig zum Vibrieren brachte. Er wundert sich: „Oh, es trauen sich tatsächlich welche. Das hätte ich jetzt nicht gedacht.“ Tja, das Braunschweiger Publikum kann durchaus dynamisch sein! Für das nächste Konzert heißt es dann also: Arsch hoch und tanzen, ob zu Singer-Songwriter, Postrock oder Metalcore, der euch im zweiten Teil meines Konzertberichts erwarten wird. Denn dann geht es ganz hart weiter aus dem Forellenhof Salzgitter mit Walking Dead On Broadway, The Oklahoma Kid, Until The Moment Comes und Wither sowie mit schrägen Geschichten von einem Grindcorekonzert mit Cyness und Hässelhoff in der Braunschweig Klaue.
Für heute möchte ich mich erstmal von Herzen für diese wunderbar musikalische Weihnachtszeit bedanken, vor allem bei You Silence I Bird (…und bei Marie, du weißt schon)! Sie bringen immer Sonne ins Gemüt und weil das so schön ist, haben wir von Kult-Tour Der Stadtblog ein kleines Video zusammengeschnitten, das von meiner ersten Begegnung mit You Silence I Bird erzählt. Eines Sommers vor ein paar Jahren traten sie auf dem Kohlmarkt auf und wir waren zufällig mit der Kamera dabei. In diesem Sinne, ich freue mich seitdem immer wieder aufs Neue, YSIB zu treffen!
Eure Stef*