
Warum der Handelsweg mit dem Café Riptide so wichtig für mich ist
Ihr kennt mich, ich schätze die (sub-)kulturelle Nische sehr und bin eher an den kleinen, feinen Orten anzutreffen, immer jenseits der großen Ketten mit dem Stern im Namen und den Plastikbechern im Angebot. Eine solche Nische ist für mich der Handelsweg in Braunschweig – was in anderen Städten oft groß und protzig ausfallen mag, ist bei uns tatsächlich klein und fein. Eine winzige, eher auch unscheinbare Passage zwischen Gördelinger Straße und Breiter Straße.
Text: Stefanie Krause | Fotos aus dem Archiv von Kult-Tour Der Stadtblog
Und dieses Biotop aus kleinen Shops, Kunst, Kneipen und Cafés ist nun bedroht. Vor allem das Café Riptide klagt über existenzbedrohende Mieterhöhungen und sind wir mal ehrlich, wenn das Riptide, das seit 11 Jahren im Mittelhof der alten Passage ansässige Café mit integriertem Plattenladen, hier nicht mehr sein sollte, dann stirbt der Handelsweg in der Form, wie wir ihn alle kennen. Das wäre nicht nur für mich, sondern auch für die alternative Szene der Stadt ein riesiger Verlust.
Stellt euch zum Beispiel einen ganz normalen Mittwoch in Braunschweig vor. Das ist ein Wochentag, an dem in unserer Stadt nicht unbedingt der Bär steppt. Konzerte in den Kulturzentren „Nexus“ oder „B58“ beispielsweise finden meistens zum Wochenende hin statt und Szenekneipen wie die „Klaue“ oder Ähnliches sind geschlossen und haben tagsüber sowieso nicht geöffnet. In den Handelsweg kann man praktisch immer gehen, tagsüber und spät abends, in der Woche oder am Wochenende, unabhängig von speziellen Veranstaltungen trifft man hier immer jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt – und den man auch treffen möchte. Jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Gerade die unterschiedlichen Persönlichkeiten, die hier regelmäßig oder nur ab und zu verkehren oder einen der Lädchen und Büdchen betreiben, machen den Handelsweg zu einem echten Kiez.
Stellt euch also einen ganz normalen Mittwochnachmittag vor, meinen Mittwochnachmittag. Gerne betrete ich den Handelsweg von der Breiten Straße aus, also nicht von der Seite, die direkt an die Innenstadt grenzt. Ein Gruß hinein ins „Fifty Fifty“, einem Second Hand Laden der edlen Sorte, der auch exklusive Neuware anbietet, ein Nicken in Richtung der großen Gruppe, die draußen auf Bierzeltgarnituren vor dem Comicladen Karten spielt. „ComiCulture“ ist übrigens der chaotischste Laden, den ich jemals gesehen habe, hier kann man bestimmt alles aus der fantastischen Welt der Spiele und Comics suchen. Nur finden muss man es.
Nach ein paar Schritten in die schöne Passage mit den hohen Torbögen bleibe ich erstmal bei Helmut hängen. Helmut Pichler betreibt seit gefühlt ewig die Strohpinte, eine Kneipe, wie man sie sich im klassischsten Sinne vorstellt. Helmut kennt noch die ganz wilden Geschichten von damals oder aus seinen noch wilderen Zeiten als Barmann in britischen Pubs. Eigentlich kommt er aber aus Österreich und wie es sich für einen herzensguten Grantler gehört, spricht er seine Meinung offenherzig – während er den gesamten Handelsweg mit liebevoll bepflanzten Blumenkübeln dekoriert. Versteht sich.
„Ah nee, kaan Kaffeee“, winkt er meine unüberlegte Bestellung ab und stellt mir erstmal einen Grünen Veltliner vor die Nase, einen wirklich empfehlenswerten österreichischen Weißwein. Er hat ja auch Recht, Kaffee trinkt man schließlich im unweit gelegenen Café Riptide oder ein paar Schritte weiter im noch recht neuen Café Drei. Also schiebe ich mein Rad nach einem kurzen Plausch ein Stück weiter. Ich möchte noch eine bestellte Schallplatte im Riptide abholen und begrüße natürlich auch hier Chris und André und die Thekenkräfte, die heute Dienst haben. Das Riptide hat die meisten Sitzplätze draußen im Handelsweg und zieht mit Snacks aus vegan-vegetarischer Küche, einem ungewöhnlichen Sortiment an warmen und kalten Getränken, der Möglichkeit, nach neuer und alter Musik zu stöbern sowie mit einem kulturellen Angebot aus Lesung, Kunst und Livemusik ganz unterschiedliche Menschen an.
Gerade an den warmen Tagen profitiert der gesamte Handelsweg vom Riptide. Doch schon wenn man einen kurzen Blick in die zwei gegenüberliegenden Räume des Cafés wirft, muss man zwangsläufig anerkennen, dass weder vom Platzangebot noch von der Personalstärke große Mieterhöhungen verkraftet werden können. Ich meine, was stellen sich solche Vermieter denn eigentlich vor? Wie denken sie, wenn sie glauben, sie könnten maximal die Miete erhöhen für solche Läden, die alleine schon von ihrer geringen Raumausstattung und Personalstärke in ihren Umsätzen limitiert sind? Denken sie denn tatsächlich, sie könnten ihre jetzigen Mieter durch untragbare Mieterhöhungen vertreiben, um dann den Ort an vermeintlich gewinnbringende Unternehmungen zu vermieten? Es scheint wahrscheinlicher, dass diese Vermieter einem jahrelangen Leerstand entgegensehen – es sei ihnen zu raten, mal durch Braunschweigs Innenstadt zu schlendern, um eine Bestandsaufnahe der Leerstände zu ermitteln – wenn selbst solche großen Passagen wie die Burgpassage – zudem in bester Innenstadtlage – nicht mehr genügend Publikumsverkehr anziehen.
In der Zwischenzeit habe ich mich getränketechnisch auf meinem Weg durch Braunschweigs älteste Passage auch schon wieder umentschieden. Doch kein Kaffee. Stattdessen gehe ich mit einem großen Glas einer der selbstgemachten Limonaden, die im Riptide aus frischen Zutaten gemischt werden, weiter zu meinem Lieblingsziel im Handelsweg. Meine schlüssellochgroße Weltbühne, meine persönliche Drei-Groschen-Oper, an der selbst Sam Beckett seine Freude gehabt hätte. Mein Mittelpunkt und Hauptanlaufpunkt ist bei Serge Roons kleinem Antiquariat direkt neben dem Riptide.
Serge wuselt gerade. Mit schnellen Bewegungen zuckt er höchst konzentriert durch die drei Quadratmeter seines Ladens, stapelt Bücher, prüft die Auslage vor dem Laden und die Exponate im Schaufenster. Hier hat er kleine Kuriositäten und Kunstobjekte mit Büchern gerade erst wieder neu kombiniert, so dass sich unerwartete semantische Bezüge und erzählerische Szenen ergeben. Es scheint, als hätte der ehemalige Regisseur und Theaterintendant die große Bühne in dieses heimelige Räumchen verfrachtet. Ein interessierter Blick und ein langer Gedanke lohnen sich „Bei Serge“ immer!
„Kann ich dir helfen?“, frage ich. „Nein Danke, Schatz, ich sortiere die Bücher und das ist eine höchstkomplizierte und intime Tätigkeit. Dabei kann mir niemand helfen.“ Stimmt, Serges Sammlung ist ein Stück von ihm, und was ihr im Laden seht, ist natürlich noch lange nicht alles. Zieht nur ein Exemplar aus den doppelten Bücherreihen in den deckenhohen Regalen und fragt ihn danach. Ich kann euch fast garantieren, dass ihr danach ein bisschen schlauer seid.
In lockerer Leinenklamotte und mit dem obligatorischen Herrenhut weht immer noch ein Hauch 68er um den Autor, der bereits mehrere Bücher veröffentlicht hat, aber der natürlich sein feines Näschen nicht immer nur in altes Papier steckt. Serges Laden ist vielmehr ein Ort des gepflegten Gesprächs und ein Treffpunkt für Menschen wirklich aller Generationen, von der 20jährigen Kunststudentin bis zu gestandenen Musikergrößen Braunschweigs. Ich suche dort vor allem den intellektuellen Austausch, aber auch Klatsch und Kontroverse, Bücher und Kunst, Menschen und Musik. Letzteres erwähne ich deswegen, weil erst kürzlich der junge Musiker Jakob Müller eine Privatpräsentation seiner neusten Kompositionen und Performances gegeben hat. Da wird dann auch mal laut Jazz aufgedreht. Sobald sich die Runde vergrößert, bemühen wir uns um themenorientierte Konversation bis oft tief in die Nacht. Manchmal gar nicht so einfach mit so vielen unterschiedlichen Menschen!
Für uns alle ist es aber eine leichte Übung und eine absolute Selbstverständlichkeit, bei jedem Besuch Getränke oder Snacks aus dem reichen Angebot der umliegenden Cafés und Kneipen zu erwerben und auch dort einzukehren. Vielleicht auf ein frisch Gezapftes bei Achim im „Tante Puttchen“, einer rustikalen Bierkneipe, die neben alteingesessenen Stammgästen auch viele Studenten anzieht? Oder auf ein leckeres Stück Kuchen im „Café Drei“, selbstgebacken von Wirtin Jessi, die in ihrem liebevoll eingerichteten Laden einen Schwerpunkt auf die kreative vegane Küche legt? Ja, der Handelsweg liegt bei aller Tradition auch voll im Trend!

Tradition trifft Trend. Prosecco zur Vernissage und veganer Kuchen im Café Drei. Fotos: Stefanie Krause
Selbst das Kunsthandwerk und die Bildende Kunst fehlen nicht. Gegenüber von Serges Laden kann man in der „Schmuckwerkstadt38“ die Inhaberin bei der Arbeit beobachten und ihre handgemachten Unikate bestaunen und erwerben. Und wenn Serge einmal nicht da sein sollte, schaue ich oft bei den „einRäumern“ vorbei, die gerne abends lustig aufgelegt und aufgereiht auf einer Bank vor ihrer kleinen Galerie sitzen. Sie bieten regionalen Künstlern einen zwanglosen Ort, um ihre Werke auszustellen. Fast jeden Monat wird hier im „einRaum 5-7“ eine neue Vernissage gefeiert.
Als ich hier ankomme, bringt gerade jemand eine neue Biersorte von Nebenan zum Probieren vorbei. Es herrscht wie immer gute Laune. Kein Wunder, dass ich sofort ins Gespräch eingeschlossen werde und mitbekomme, wie über eine auffällig große Gruppe gerätselt wird, die gerade unmittelbar gegenüber in der Strohpinte eingekehrt ist. Diese netten Gesichter hat hier noch keiner von uns gesehen. Nicht lang gezögert! Man fragt also nach. Es handelt sich um Chor-Mitglieder aus Braunschweig, die sich sichtlich über unsere Neugier freuen, uns kurzerhand zum nächsten Gesangskonzert einladen und im Gegenzug gleich Interesse an der Galerie bekunden!
So läuft das oft im Handelsweg. Ich kenne schon viele, aber hier komme ich schnell mit neuen spannenden Menschen in Kontakt. Zeigt doch auch mal Gesicht! Es lohnt sich immer hierherzukommen. Lernt Leute kennen, findet Freunde, trefft alte Bekannte, nehmt teil – redet nicht darüber, seid die Subkultur! Kommt vorbei, auch wenn es nur auf einen kurzen Kaffee ist, während ihr in der Innenstadt unterwegs seid. Das ist das Einfachste, was ihr machen könnt, um euch und eure Nische zu unterstützen.