
Wolfsburg Unlimited: Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg

Blick in die Ausstellung, Rauminstallation von Rémy Markowitsch, Nudnik. Forgetting Josef Ganz , 2016 | (c) Courtesy Galerie Eigen+Art | Foto: Marek Kruszewski
Die Ausstellungen im Wolfsburger Kunstmuseum reizen mich seit 1994, also seit es das Museum gibt. Seitdem habe ich vielleicht zwei oder drei Programme nicht gesehen. Ich kenne den Raum, den Ort, die Menschen, die dort arbeiten; ich habe zahllose beeindruckende Konzepte erlebt, die Wandelbarkeit des Gebäudes zu lieben gelernt, neue Künstler und Ideen wahrgenommen. Aber so überraschend wie jetzt – ich war unvorbereitet und platt von dem, was zurzeit das Museum ausfüllt. Die verbreitete Idee, den Hollerplatz vor dem Gebäude zum Yachthafen auszubaggern, fand ich schon witzig – die Realität im Haus übertrifft diese Spielerei noch um einiges. Ich gebe vorsichtshalber Spoileralarm.
Text: Matthias Bosenick
12.000 Jahre Wolfsburg sind zu sehen, den die dreistöckige Megaschau startet mit irgendwelchen Knochenfunden aus der Gegend. Vergnügt über die Exponate aus mehr als den offiziell nur 78 Jahren, die Wolfsburg existiert, schlendere ich an den historischen Ausstellungsstücken entlang, die eher an ein Heimatmuseum als an einen weltweit ruhmreichen Kunsttempel erinnern. Ackerwerkzeug, Gemälde derer von Bartensleben, Kartenmaterial: Zunächst will ich all dies achtlos ignorieren und zur Kunst vordringen und bleibe dann doch an den Dingen hängen. Spannend. Echt. Farblich schön gestaltete Räume, angenehm illuminiert, lediglich den Vorsfelder Eber kann man wegen der Reflexionen der Lampen auf dem Ölbild nur schwer erkennen.
Links, rechts, zwei fallen lassen, eine schäbige Klapptür. Nanu. Ich drücke sie auf und befinde mich abrupt in einem nächtlichen Industriehafen. Auf beiden Seiten türmen sich gigantische Überseecontainer, die Temperatur fühlt sich wie in einer lauen Sommernacht an, schummrige Straßenlampen stehen vereinzelt an den Ecken. Das ist mal unerwartet. Rechts öffnet sich ein Platz zwischen den Containern. Einer steht offen, ein Obdachloser hat sich dort offenbar eingerichtet. Müll liegt auf dem Sandboden herum. Das gedimmte Laternenlicht erschwert die Orientierung und perfektioniert die Illusion von einer Hafenanlage.
![Blick in die Installation „Midwest” von Julian Rosefeldt [c] Julian Rosefeldt, (c) VG Bild-Kunst, 2016 Foto: Marek Kruszewski](https://www.derstadtblog.de/wp-content/uploads/2016/08/Web-160421-KMW-0130-1024x683.jpg)
Blick in die Installation „Midwest” von Julian Rosefeldt | (c) Julian Rosefeldt, (c) VG Bild-Kunst, 2016 | Foto: Marek Kruszewski
Eine Ecke weiter. Ich weiß nicht so recht, wo ich überhaupt langgehen soll. Ist das schon Kulissenrückseite oder doch gewollter Pfad? Am Ende dieser ellenlangen Containermauer schimmern offenbar die Lichter eines Kiosks. Es braucht eine Weile, bis ich ihn erreiche. Tatsächlich, ein Kiosk, und eine Museumsmitarbeiterin verkauft darauf US-amerikanische Süßigkeiten. Die das Museum eigens importierte, wie sie mir erzählt. Ich blicke nach rechts. Hinter den Containern öffnet sich die Fläche zu einem Autokino. Mit Leinwand, auf der ein Film läuft, und davor parkenden Autos. Wie im Autokino plärrt der Ton aus den Stelen mit den tragbaren Lautsprechern neben den Vehikeln. „In die können Sie sich auch reinsetzen“, sagt die Kioskfrau.
Ich muss aber erst einen Augenblick am Kiosk verweilen und die Eindrücke sacken lassen. Wo bin ich hier? Ich habe doch das Gebäude gar nicht verlassen, oder? Ich muss doch noch im Kunstmuseum sein. Ja, das ist riesig, aber so groß? Passt das alles noch da rein? Ich habe doch schon eine umfangreiche historische Ausstellung gesehen, das war doch auch in diesem Gebäude. Und jetzt dieses nachtdunkle Hafengelände mit Autokino? Links und rechts der Leinwand erzeugen Spiegel den Eindruck von Unendlichkeit. Der Raum wird somit noch größer. Bin ich überhaupt noch in Wolfsburg!?
Fassungslos schlendere ich um die parkenden Autos herum. Sie waren alle einmal zugelassen, Nummernschilder tragen sie noch. Aus dem Innern leuchten sie verheißungsvoll mit ihren Deckenlampen. Ich setze mich vorn rechts in einen alten Mercedes. Sitzen, das tut gut, sonst überwältigt mich noch die schiere Grenzenlosigkeit des Ortes. Zeit, den Film wirken zu lassen.
Der spielt ebenfalls auf einem Hafengelände. Zwei Banden kurven in Autos herum, treffen sich zwischen Containern zum Austausch von Gepäckstücken und gehen wieder auseinander. Da sie jeweils den mitgebrachten Koffer auch wieder einstecken, müssen sie sich erneut zur Übergabe treffen – der Film dreht sich im Kreis. Dazwischen geraten die übellaunigen und wortlosen Gangster in Zeitschleifen und Bewegungsseltsamkeiten, sie vollführen einen Reigen absurder Suspenseaktivitäten. Kein Wunder, dass sie sich mit ihren Koffern vertun.
„The Swap“ heißt der Film, „Midwest“ die nach dem Kioskleuchtschild benannte Drumheruminstallation, beides von Künstler Julian Rosefeldt. Die Raumillusion ist derartig gelungen, dass ich die Installation gar nicht verlassen mag. Rätselhafte Wohlfühlkunst auf eigens ausgelegten Betonplatten.
Doch die Zeit wird knapp, ich gehe weiter. Die Installation ist durch eine ähnliche Holztür zu verlassen, wie ich sie zu betreten hatte, nur dass sie mit einem verlockenden Glühlampenherz dekoriert ist. Das erinnert an den zwielichtigen „Club 35“, der früher ähnlich ausgestattet den Wolfsburger Ortsteil Mörse nächtens erhellte.
![Blick in die Installation „Midwest” von Julian Rosefeldt [c] Julian Rosefeldt, (c) VG Bild-Kunst, 2016 Foto: Marek Kruszewski](https://www.derstadtblog.de/wp-content/uploads/2016/08/160423-KMW-506-1024x683.jpg)
Blick in die Installation „Midwest” von Julian Rosefeldt| (c) Julian Rosefeldt, (c) VG Bild-Kunst, 2016 | Foto: Marek Kruszewski
Erstmals in seiner zweiundzwangzigjährigen Geschichte präsentiert das Museum eine Ausstellung, die das gesamte Gebäude umfasst, also alle drei verfügbaren Etagen. Beim Umwandern der Balustrade im ersten Stock erkenne ich, wo das Autokino lokalisiert ist: tatsächlich im großen Raum. Ich war also die ganze Zeit nicht nur noch in Wolfsburg, sondern sogar deutlich innerhalb des Kunstmuseums. Schon oft hat mich das Museum mit genau diesem Raum überrascht, aber noch nie so – ja: noch nie so.
Die knappe Zeit reicht gar nicht dazu, mir alle Kunstwerke anzusehen. Für die dritte Etage muss ich wiederkommen. Es gibt noch so viel zu entdecken. Und mal sehen, in welches Auto ich mich nächstes Mal setze. Vielleicht fahre ich einfach gleich mit dem eigenen… Ach, das geht nicht? Das hätte ich jetzt nicht gedacht.
- Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor.
- 24.04.2016 – 11.09.2016
- Link zur Ausstellung
- Öffnungszeiten: Dienstags bis Sonntags 11:00 – 18: Uhr