
Noch Konzert oder pure Energie?
Mit dem Spezialauftrag von Kult-Tour Braunschweig in meiner Tasche, nach dem Konzert meine ganz eigene Intuition des wundervollen Souls niederzuschreiben, starte ich viel zu spät los, um mir eines der großartigsten Konzerte von „REVEREND SHINE SNAKE OIL CO.“ in Braunschweigs Hansa Kultur-Klub anzuschauen. Und hier an Ort und Stelle geht es nicht nur um ein unterhaltsames Konzert an einem Sonntag Abend, sondern vielmehr um den Begriff des „Soul“. Musik, die es durch ein einzigartiges Zusammenspiel dieser Band schafft, erst Gefühl zu vermitteln, um dann direkt ins Herz zu gehen…
Text: Daniela Wedau, Foto: Frank Tobian
Mein Stimmungsbarometer steht auf klarer Herzlinie als ich den Raum betrete. Hier wird gleich vieles auf einmal in einem und mit einem passieren. Die wahrhaftige Form nichts zu verdrängen, sondern die Herausforderung von Erlebtem zu stellen und mitzufühlen. Jeder einzelne mit seiner ganz eigenen Geschichte. Und wir alle wissen, was das an einem Sonntag nach durchgemachten Nächten bedeutet. An einem Tag, an dem doch sonst eher die Unlust des folgenden Montags und der Alltagswelt auftaucht und man sich hier und da lieber verschließen würde vor tiefen Emotionen, findet man ganz unverhofft ein musikalisches Highlight. REVEREND SHINE SNAKE OIL CO. fordern ihr Publikum auf, alles hinaus zu geben und auf den Kern zurückzukommen. Und ich hab das Gefühl, alle Anwesenden müssen sich notgedrungen darauf einlassen, sich diesem „von innen heraus“ hinzugeben.
Vier unglaublich gute Musiker, die der Bezeichnung des Blues zum vollsten gerecht werden, stehen auf der Bühne. Es ist fast tragisch, dass die vielen musikbegeisterten Bluesanhänger der Stadt sich nicht alle in dieser Halle wiederfinden. Wo Authentizität das Blut pulsieren lässt bis hin zu einer zurückbleibenden großartigen Stimmung, die man wohlwollend mit nach Hause tragen darf. Und nachhallend streift mir durch den Sinn: ,,Danke Jungs! Ihr habt es geschafft, einem typischen Sonntagabend mit Tatort vor den Fernsehgeräten zu strotzen. Ihr habt mich dazu gebracht, mit Begeisterung und Ausgeglichenheit die kommende Woche leichtfertig in den Blick zu nehmen.
Dass dieses Konzert anders ist, beweist sich dadurch, dass sich die erste Reihe des Publikums schon nach kurzer Zeit direkt vor die Bühne wiederfindet. Es bedarf nur einer kleinen Aufforderung, die vom Publikum schon fast im Dank angenommen wird, und alle treten näher. Gerade so, als kommt nun zusammen, was zusammen gehört. Nämlich Band und Publikum, um allen einen atemberaubenden Abend zu verschaffen, der in Erinnerung bleibt. Wie oft sonst erlebt man es bei anderen halb gefüllten Veranstaltungen, dass bis zum Ende eines Konzertes der „Flow“ nicht zu erreichen war. Und trotz mehrmaligen Wünschen und Aufforderungen von Bands, sich doch keiner nach vorne bewegte.
Doch was ist das eigentlich für eine Band, die so hoch gelobt und von so vielen Kulturbegeisterten ins Augenlicht genommen wurde?
Pulsierendes Blut, „find yourself and peaceofmind“, scheint die Aussage der musikalischen Stimmung zu sein. Von Freude, über Melancholie, bis hin zur Trauer verbinden diese erstklassigen Musiker alles, was das Leben schreibt. Eingebettet in Blues, Soul, Rocksteady, Swing und afrikanische Polyrythmen, der für Anhänger dieser Musikrichtungen kaum ehrlicher rüber gebracht und vereint werden kann. Doch wie kann das funktionierten, eine solche Bühnenpräsens nach Außen zu geben? Wahrscheinlich liegt der Urgrund in den verschiedenen Individualitäten der vier Musiker, die es durch Herkunft, Kultur und Persönlichkeit schaffen, eine internationale Zusammensetzung und Offenheit an das Individuum zu vermitteln. Hier stehen nicht durch Einzelmusiker auf der Bühne, sondern hier leben Musiker ihren gemeinsamen Perfektionismus. Dieser entsteht nur dadurch, dass sich diese Band wirklich kennt und miteinander auseinandersetzt. Doch REVEREND SHINE SNAKE OIL CO. setzt sich nicht nur mit sich selbst und ihrer perfekten Musik auseinander, sondern auch mit Ihrer Umgebung und dem Flow des Publikums. Wie sonst könnte es möglich sein, dass man diese Band, die zurzeit in Kopenhagen lebt und ihre Wurzeln in New York hat, auf ihrer Europatour sowohl in Konzertsälen als auch auf der Straße ihre Musik zelebriert? Das ist eine Band, die durch jeden Einzelnen und mit jedem einzelnem Element Musik als ein Schauspiel leben und erleben lässt. Das spürt man und vermittelt alles, was in jedem nahezu großartigen Powerstück zurückbleibt und einfach nur Spaß macht. Während der Bandname „REVEREND SHINE SNAKE OIL CO.“ vielleicht verwundert, verwundert es mich nicht, dass alle Gäste mindestens einmal ein ausgelassenes, euphorisches, intuitives, lautes …JEEEAAAHHHAAA… in den Raum geben. Es ist so, so als müsste die energetische Kraft, die einem durch die Seelentiefe der Musiker gegeben wurde, auch wieder raus müssen, um sich für den nächsten tiefen Rhythmischen Klang aufs Neue öffnen zu können. Der Name scheint dabei die Frage zu beinhalten: Schein oder Sein? Gut oder Böse? „Gut und Böse sind beides Licht“, wie auch schon Käptn Peng zum Besten gab, und das spüre ich auch spätestens beim zweiten erlebten Song von Reverend Shine Snake Oil Co. .Claudius Pratt – der Frontsänger – geht mit seiner tiefen, bissigen, verrauchten Stimme direkt in meinen Körper über, so dass bei dem Stück ,,Lay with me“ mir das Wort „devil“ ein augenblickliches Kribbeln den Rücken runter laufen lässt. Und auch wenn wir Braunschweiger eher als verhalten angesehen werden können, als diese Band auf uns trifft, ist es hier, an diesem Abend, kaum jemandem mehr möglich, sich um Schüchternheit oder ähnliches zu kümmern. So verwunderte es nicht, dass spätestens bei den Swing-Elementen vor der Bühne mitgetanzt werden muss, als Claudius Pratt auch körperlich präsentiert, welcher Rhythmus in ihm Steckt. Die reinste Freude schwappt über, wenn man diese Band entfernt auf der Bühne und doch mittendrin erlebt. Also Taschen weg und los geht´s! Ich komme gar nicht dazu, mein Bier zu trinken, denn ich brauche meine Hände, um mit allen anderen zusammen im Takt zu klatschen. Und auch wenn ich mich noch anfänglich über das Sonntagsverhalten einiger Braunschweiger ärgerte, die offenbar lieber den Tatort geschaut haben – obwohl diese Band einen überaus ausgefüllten Raum verdient hätte, bin ich jetzt ganz persönlich froh darüber, dass wir in kleinerer Runde dieses Erlebnis teilen dürfen. 1000 Menschen mehr erhöhen eben nicht die Qualität des Publikums! Kaum einer wird an diesem Abend den HANSA Kultur-Club verlassen, ohne Fan von REVEREND SHINE SNAKE OIL CO. zu sein. Ein sogenanntes „Ankommen“ aller Gäste und Begeisterten ist fast in Sekundenschnelle zu erfassen.
Nach der Swing-Tanzeinlage geht es weiter mit Soul. Ich schaue einem unglaublich guten Gitarristen dabei zu, wie er sein Instrument gerade so zu spielen vermag, dass nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen ist, ob hier ein Tasten- oder ein Saiteninstrument zum Klingen gebracht wird. Die Leichtigkeit, die Justin Moses Gunn zu Tage bringt, ist dermaßen beeindruckend, dass ich es in Worten nicht niederschreiben könnte.
Die Backgroundstimmen setzen sich perfektionistisch in dieses Spiel mit ein. Und man bekommt einen Eindruck davon, was passieren kann, wenn eine Band ihre Potentiale nutzt und die Intention eines Songs mit innerem „Spirit“ verbindet, und von innen nach außen trägt. Perfekt, denke ich mir und schließe die Augen. Einfach nur da sein, einfach nur die Musik, die Emotion, und ab jetzt von hier, alles gut.
Was geht hier eigentlich ab? Ich höre dem Schlagzeuger Matthias Klein dabei zu, wie er fast ekstatisch den Rhythmus pulsieren lässt. Bin selbst bei weilen immer noch dabei, diese unglaublich vielen einzigartigen Fragmente zu erfassen, um mich nicht gleich in einem positiven Gefühlsausbruch zu verlieren. Das wäre dann wahrscheinlich hier und da doch ein wenig zu viel gewesen wäre für den kommenden Montag im Alltag. Aber diese gewisse Selbstironie verschafft mir ein Schmunzeln im Gesicht und bringt mich dazu, die Augen wieder zu öffnen und einfach weiter mit zu tanzen. Es ist für mich kein Wunder, als ich bemerke, das rechts und links neben mir die Menschen samt Schlagzeuger ihre Augen geschlossen haben. Ja Jungs, ihr habt es geschafft!
Selbstverständlich kam eure Zugabe und jeder der Anwesenden hätte trotz des anderthalb Stündigen Auftritts gerne mit euch noch eine weitere Stunde auf der Bühne verbracht. Einen großen Dank an REVEREND SHINE SNAKE OIL CO.! Die Band gab es nach ihrem Auftritt hautnah und für jeden erreichbar, der in Kontakt treten wollte. Hingerissen von der Vorstellung, dass die Sonntagsmelancholie heraus gelassen werden konnte und es keinen besseren Kanal als diese Band, an diesem Tag hätte geben können, um mich einer neuen arbeitsreichen Woche hinzugeben, verlasse ich diese Veranstaltung. Erschrocken, denn es ist viel zu spät geworden, als gewollt.
Aber eins wird mir in dieser Kleinstadt immer wieder klar, Braunschweig hat mehr zu bieten als man oftmals denkt. Hier kann man einzigartige Musiker treffen. Über den Tellerrand hinaus ist auch in dieser Stadt viel Platz für Kultur, man muss nur wissen wie man darauf aufmerksam wird. In diesem Zusammenhang ein großes Dankeschön an Peter Matthias von „U Tour“, der für mich einer der Braunschweiger Veranstalter ist, der erstklassige Bands durch sein Talent zu erkennen und wahrzunehmen nach Braunschweig holt! Ich hatte einen phantastischen Abend mit überaus beeindruckenden und nachhaltigen Gesprächen mit der Band und den Zuschauern.
So ist es für mich nicht verwunderlich, das Martin Semmelrogge mit seinem Sohn auf diese Veranstaltung aufmerksam wurden und ihrer Begeisterung nach dem Konzert offen mitteilten. Danke an den „HANSA Kultur-Club“. Hier wurde uns ein Forum zur Kommunikation mit Band, Martin Semmelrogge und allen anderen Begeisterten bis tief in die Nacht geboten!