
Gedanken #1 | Der Sinn des Schnees
Es gibt manchmal so Momente, da wünsche ich mir, die Seelen mögen sich ebenso abkühlen, wie es eine Stadt im Schnee tut. Leise rieselt er nieder und überdeckt die Asphaltwunden, Betonherzen und Steinwüsten, unter denen eine verletzte Erde liegt – wenigstens für einen Moment. Hitze und Gewalt entweichen und die angestrengte Stadt atmet aus, versteckt sich und streckt sich aus unter ihrem weißen Mantel wie ein Kind unter seiner weichen Kuscheldecke. Geborgenheit.
Wenn es geschneit hat, dann erscheint die Welt manchmal so, als würde in ihr nichts Böses existieren. Alles ist leise, romantisch und in flauschige Eiswatte gepackt. Wenn man dann die Augen schließt und tief einatmet, ist die Luft genauso klar wie das durchsichtige Weiß des noch ganz frischen Kristalls auf dem Boden, auf den Bäumen, auf den Häusern und Plätzen und auch auf den Häuptern der Menschen in dieser Stadt. Auf den Köpfen, die so voll von blinder Wut und unreflektiertem Widerstand sind.
Im Moment habe ich das Gefühl, alle wollen Krieg. Egal warum. Hauptsache, man hat einen Grund. Hauptsache man hat Krieg. Hauptsache, man hat Recht. Hauptsache, man spürt sich dann wieder. Hass überdeckt Angst, Wut überdeckt verletzte Gefühle, Drama lenkt ab von der eigenen Langeweile. Und auch in mir kocht es manchmal hoch und ich will mich wehren – gegen Ungerechtigkeit. Die mich verletzt. Die mich wütend machen. Doch dann sehe ich den Schnee und atme ein und aus. Ein und aus. Es tut nicht gut, zu schreien. Es tut gut, nicht zu schreien.
Lerne von dem Schnee. Kühle dein aufwallendes Blut. Tu‘ dir mit deiner Energie nicht selber weh. Nimm sie für eine gute Tat. Denn wenn der Schnee geschmolzen ist, will keiner deine Ödnis sehen.
Text und Fotos: Stefanie Krause | Ort: Bürgerpark Braunschweig