
Interview mit Eva G. Hamilton aka Eva Gina
Nach erfolgreichen Ausstellungen in Paris, New York, Leipzig und Eskifjörður besuchte Eva G. Hamilton aka Eva Gina das Unikum in Braunschweig für eine umfassende Werkschau. Aus diesem Anlass und zur Veröffentlichung ihres sechsten Buches „Sexify your Life – 69 Sexperimente für den Alltag“ hat Kult-Tour Braunschweig ein exklusives Interview mit der mysteriösen Künstlerin aus unserer Stadt geführt. Bisher hat Eva Gina sechs Fotobnücher veröffentlicht: Muschi Mandalas, Schwanzalas, Pussy Lands. stockings – a tribute to Suzanne Vega, Sexify your Life, unporn my heart.
Text: Stefanie Krause | Bilder: Eva Gina
Stef: Ich freue mich, dass ich heute mit dir sprechen kann. Du bist ein Mysterium! Was bringt deine Ideenmaschine zum Laufen, Eva?
Eva Gina: Meine Hauptinspiration ist meine Lebenskunst. Seit sechs Jahren lebe ich ohne eigene Wohnung und übernachte bei Freunden, Bekannten und oft auch Unbekannten. Wer durch die Coachs der Städte surft und mit vielen Menschen spricht, erlebt täglich neue Inspiration. Außerdem nehme ich einmal monatlich bei Vollmond psychaktive Substanzen, meistens Psilocibin, seltener LSD und Meskalin.
Stef: Die Nacht und die Dunkelheit sind also auch Teil deines künstlerischen Geheimnisses? Siehst du dich selbst als ein Geheimnis?
Eva Gina: Mein Leben ist eher ein offenes Buch. Die versteckende Dunkelheit ist mir suspekt; nur der Haifisch muss sein Zähne verstecken.
Stef: Das heißt, deine Bücher sind du und umgekehrt? Wie viele Seiten hat eine Eva Gina?
Eva Gina: Faust sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“ Als Frau habe ich zwei Brüste, und wenn in jeder zwei Seelen wohnen, dann habe ich mindestens vier. Meine Bücher hingegen betrachte ich eher als Literatur, als Geschichten, welche die Wünsche und Sehnsüchte der Leser widerspiegeln. Was die Betrachter meiner Fotobände sehen, sagt daher mehr über sie aus als über mich.
Stef: Möchtest du eher Geschichten erzählen oder vielmehr Collagen aus vorgefundenem Material gestalten, die erst durch den Rezpienten aufgeladen werden müssen?
Eva Gina: Sowohl als auch. Die Geschichte meiner Kunst spielt auf zwei Ebenen: Die eine ist mein öffentliches Leben. Die andere ist die der Betrachter, bei denen meine Kunst ein Kopfkino auslöst. Das ich bei meinen Fotobänden die Collage wähle, hängt damit zusammen, dass ich Sehnsüchte kanalisiere. Letzten Endes sind alle künstlerischen Werke Collagen, die sich aus den unterschiedlichsten Bausteinen zusammen setzen. Inspiration ist immer ein neues Zusammensetzen von schon bestehendem Material, das entweder den Empfänger berührt oder auch nicht.
Stef: Handelt es sich hierbei um prototypische Fantasien? Ich stelle diese Frage, da du meiner Meinung nach mit dem Klischee einer klassisch männlichen Fantasiewelt spielst und auch meist deine Bilder in für Männer kreierten Medien findest.
Eva Gina: Das Material meiner Fotobände stammt ausschließlich von Pornoseiten im Internet. Und es stimmt: Das Internet ist von männlichen Konsumenten geprägt. Ich glaube nicht, dass sich Männer- von Frauenfantasien grundsätzlich unterscheiden. Der Unterschied liegt in der Verteilung. Und es kann daher durchaus sein, dass meine Kunst eher Männer als Frauen anspricht. Mein Fotoband „I’m your Woman“, der gefesselte Frauen in den unterschiedlichsten Posen zeigt, wird jedoch – trotz der angeblichen Männerfantasie – eher von Frauen geschätzt. Ich finde, dass wir weniger in Geschlechterkategorien denken sollten, sondern eher in Menschen, die unterschiedliche Bedürfnisse haben. Und wenn eine Frau das Bedürfnis hat, sich Sperma ins Gesicht spritzen zu lassen, oder ein Mann gerne in Windeln durch seine Wohnung rennt, dann sollen sie das ausleben. Mein Ziel ist, dass meine Kunst Menschen anspricht.
*Eva Gina raucht eine Zigarette zwischendrin*
Stef: Wie erklärst du dann den sehr maskenhaften Stil der Bilder, die du verwendest – die Bilder zeigen zwar sehr intensive und manchmal brutale Posen, aber die Gesichter und die Haut der Protagonistinnen sind sehr „glattgebügelt“ (Bsp. I’m your woman) . Geht es hier wirklich um reale Fantasien, um Menschen und um LEBEN?
Eva Gina: Das Maskenhafte macht die Bilder universell und macht aus so genannten Pornos Kunst. Ich halte die Posen auch nicht für brutal, sondern eher für zärtlich. Fesseln kann auch mit Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung zusammen hängen. Ein Ehering ist auch nichts anderes als eine symbolische Fessel. Brutalität hingegen sieht man, wenn man sich die Fleischtheke im Supermarkt oder die Nachrichten anschaut.
Stef: Jetzt greifst du zu einer Frage vor, die ich erst am Ende stellen wollte. Aber ich bin gerne flexibel: Ich habe mal einen guten Bekannten von dir getroffen. Er erzählte mir, dass du auf einen ästhetischen Vergleich zwischen pornographischen Abbildungen und Schweinefleisch abzielst. Was sagst du dazu?
Eva Gina: Hier möchte hier Timothy Leary zitieren: „Make Porn, not War!“ Das ist vielleicht die zentrale Botschaft meiner Kunst und meines Lebens, wobei „Porno“ hier für Bedürfnisbefriedigung steht, und Krieg für alle Handlungen, bei denen Menschen und Tiere missbraucht werden. Es ist leider normal, dass im Tatort Leichen präsentiert werden und Tiere für kurzzeitigen Genuss grausam leben und sterben müssen. „Porno“ kann dazu eine Gegenthese zu dieser Scheinheiligkeit liefern. Oder wie eine Kunstprofessorin aus Turin nach einer langen Nacht zu mir sagte: „Eva, wenn jeder Mensch auf diesem Planeten eine Nacht mit Dir verbracht hätte, dann hätten wir keine Kriege mehr.“
Stef: Wenn deine Fesselbilder also eher eine romantisierte Vorstellung von Zärtlichkeit und im übertragenen Sinne „Frieden“ darstellen können, wie sieht dann eine realistische und vielleicht auch kantigere, härtere Form von Sex für dich aus?
Eva Gina: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Seitdem ich ohne Wohnung lebe, weiß ich, dass jeder seine eigene Vorstellung davon hat.
Stef: In Muschimandalas und Schwanzalas gehst du noch eine Schritt weiter mit der Ästhetisierung. Geschlechtsorgane werden bis fast zu Unkenntlichkeit entfremdet und zu visuellen Bausteinen deiner Kunst. Welches Ziel verfolgst du damit?
Eva Gina: Die Bilder sind während meiner Zeit an der HBK Braunschweig entstanden und sind eher als Anti-Kunst zu betrachten. Das Klischee, dass zeitgenössische Kunst oft Geschlechtsorgane zeigt, treiben diese Bilder auf die Spitze. Hinzu kommen die Titel der Bilder, die in ihrer Gegenständlichkeit von einigen Künstlern als Provokation betrachtet werden. „So kann man doch kein Bild nennen“, haben mir viele Kommilitonen aus meiner Kunstklasse vorgeworfen. Doch, ich kann. Hinzu kommt, dass ich mich schon mit diesen Bildern gegen den Kunstmarkt gestellt habe, indem ich sie quasi-sozialistisch für umsonst im Internet präsentierte. Noch heute sind dies die am häufigsten heruntergeladenen Bücher einer Studentin der HBK. Im Nachhinein betrachte ich diese Bände jedoch eher als Experimente auf dem Weg zu einer eigenständigen Künstlerin.
Stef: Mich interessiert auch deine künstlerische Praxis. Wie kann ich mir den Prozess des Vorfindens und Nachbearbeitens der Bilder vorstellen? Sind die Bildtexte vorher da oder enstehen sie erst mit dem Bild? Erzähl mir etwas über den Prozess des „Kunst-Machens“!
Eva Gina: Das erkläre ich am besten anhand meines Fotobands „Stockings“. Nach einer Kunstausstellung über Textilien im Kunstmuseum Wolfsburg, hatte ich die Inspiration, einen Fotoband über Textilien zu machen. Kurz vorher hatte ich einen Photoshop-Filter entdeckt, der ideal für Netzstrümpfe ist. Dazu kam ein Song von Suzanne Vega, die schon immer ein Vorbild von mir war. In diesem Fall waren also zuerst die Bilder da und dann der Text. Bei meinem Band „Sexify your Life – 69 Sexperimente für den Alltag“ war es genau andersrum. Nachdem ich den Text verfasst hatte, suchte ich nach inspirierenden Fotos, die das Buch anreichern. Die Bilder in diesem Band sind eine Art dekorativer, pheromonischer Lockstoff, mit dem Downloader*innen auf den Text gelenkt werden
Stef: Was zieht dich an den vorgefunden Bildern an und was stößt dich vielleicht auch ab?
Eva Gina: Ich mag kein Pornogepose. Menschen, die versuchen, einem Klischee zu entsprechen, wirken auf mich eher peinlich. Ich bin ein Freund von Fotos, die trotz aller Künstlichkeit Persönlichkeit zeigen.
Stef: Was haben für dich die Texte aus dem pop-kulturellen Bereich mit den Bildern zu tun? Sieht du dort eine Verknüpfung der beiden Ebenen und willst du diese offenbaren?
Eva Gina: Ich bin Popp-Fotografin und Popp-Literatin. Ich mache keine Kunst für Exoten, sondern bilde „kulturelle Alltagserzeugnisse“ ab, die man problemlos als Popkultur bezeichnen kann. Außerdem: Ein guter Porno ist wie ein guter Popsong.
Stef: Was sagst du zu dem altbekannten Vorwurf, dass du mit „nackten Tatsachen“ und pornographischen Inhalten einfach nur Aufmerksamkeit schinden willst?
Eva Gina: Der Vorwurf kommt meistens von Künstlern, die aus ihrer Sicht zu wenig Aufmerksamkeit und meistens auch Geld bekommen. Die eigentliche Frage ist doch, wofür man die Aufmerksamkeit benutzt. Wenn ich mit meinen Bildern Menschen und Tiere glücklich mache, wenn ich dazu beitrage, die Ausartungen des Kunstmarktes zu durchbrechen und wenn ich Menschen anrege, ihr Leben performativer zu leben und zu ihren Bedürfnissen zu stehen, dann habe ich kein Problem damit, meine Aufmerksamkeit mit „nackten Tatsachen“ zu bekommen.Von mir aus können andere gerne „bekleidete Lügen“ präsentieren.
Stef: Das klingt wie ein gutes Schlusswort. Verrätst du mir noch, was du als nächstes planst?
Eva Gina: Zurzeit arbeite ich an meiner Autobiografie mit dem Titel: „Das wahre Buch vom nördlichen Bettenland“. Das Buch wird eine Mischung aus Sex, Drogen und Rock’n’Roll in der Tradition des Taoismus und der Performancekunst.
*Eva Gina raucht eine Zigarette danach*
Alle Werke von Eva G. Hamilton stehen zum kostenlosen Download bereit.